Reduktionsstrategie für Tierversuche an Grundlagenforschern gescheitert?
- Pressemitteilung
Ärzte gegen Tierversuche fordert neue Bundesregierung zum Handeln auf
Mit der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) initiierten Reduktionsstrategie für Tierversuche sollten konkrete Maßnahmen zur Verringerung von Tierversuchen umgesetzt werden. Die bereits ausgearbeitete Strategie sollte noch vor dem Regierungswechsel veröffentlicht werden. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch auf den letzten Metern – vor allem aufgrund teils massiver Kritik aus Teilen der Grundlagenforschung (1). Der bundesweit tätige Verein Ärzte gegen Tierversuche (ÄgT) appelliert deshalb eindringlich an die neue Bundesregierung, das Vorhaben wieder aufzugreifen und entschlossen weiterzuverfolgen. Nur so könne eine zukunftsfähige Forschung im Sinne von Mensch und Tier gelingen.
Das komplexe Thema legt ÄgT ausführlich dar:
Unter Federführung des BMEL arbeiteten Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Industrie und Tierschutzorganisationen seit September 2024 an inhaltlichen Konzepten zur Reduktion von Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung, der regulatorischen Pharmakologie und Toxikologie sowie in der Aus- und Weiterbildung. Das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) erarbeitete aus diesen Konzepten den Entwurf der Reduktionsstrategie.
Während sich Vertreterinnen und Vertreter aus Industrie und Tierschutz – trotz einzelner Kritikpunkte – weitgehend einig über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Strategie sowie ihres Ziels zeigten, sprachen sich die Wissenschaftsorganisationen, vereint in der „Allianz der Wissenschaftsorganisationen“, in einer gemeinsamen Stellungnahme gegen die Veröffentlichung des Entwurfs aus. Kritisiert wurden insbesondere ein angeblicher Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit sowie die im Entwurf enthaltene Forderung nach verbindlichen Qualitätsstandards (1). „Das ist erstaunlich“, sagt Dr. Johanna Walter, wissenschaftliche Referentin bei Ärzte gegen Tierversuche. „Der Entwurf enthält keine Verbote, keine verbindlichen Zielvorgaben und nicht einmal einen konkreten Zeitplan. Dass dieser Entwurf als Bedrohung empfunden wird, wirkt irrational.“
Besondere Ablehnung aus dem Feld der Neurowissenschaften
Besonders eine Gruppe von Grundlagenforschern war im Vorfeld der geplanten Veröffentlichung der Reduktionsstrategie auffallend aktiv: Sie initiierte eine Kampagne, in der sie sich explizit zu Tierversuchen bekannte und sich auf die Freiheit von Forschung und Lehre berief (2). Ein Forschungsgebiet war in dieser Kampagne jedoch deutlich überrepräsentiert, weiß Walter: „Von den 110 Unterzeichnenden stammen knapp 80 Prozent aus den Neurowissenschaften. Es ist also keineswegs die gesamte Grundlagenforschung, die sich mit dieser Kampagne hinter Tierversuche stellt.“
Gerade im Bereich der Neurowissenschaften ist die Übertragbarkeit tierexperimenteller Ergebnisse auf den Menschen besonders problematisch (3). Insbesondere bei neurologischen Erkrankungen fällt die Bilanz der tierversuchsbasierten Forschung äußerst schlecht aus (4). Dabei stehen mittlerweile zahlreiche tierversuchsfreie Methoden zur Verfügung, die präzisere und relevantere Aussagen über menschliche Erkrankungen ermöglichen (5).
Generelles Problem der Neurowissenschaften?
Ein kürzlich erschienener Artikel deutet auf ein generelles Problem im Bereich der Neurowissenschaften hin. So scheinen Gutachter bei der US-amerikanischen Forschungsbehörde National Institutes of Health (NIH) bei der Beurteilung von Anträgen im Bereich der Neurowissenschaften – aufgrund ihrer eigenen Präferenzen – Tierversuche gegenüber tierversuchsfreien Verfahren bevorzugt zu befürworten (6).
„So erhält sich die tierverbrauchende Neurowissenschaft selbst und ist gegenüber Modernisierungen resistent“, resümiert Walter. Die NIH haben auf diesen Missstand reagiert und wollen laut eigener Aussage Maßnahmen gegen „Voreingenommenheiten zugunsten von Tierversuchen“ ergreifen. Dazu wollen die NIH ihre Gutachter besser schulen und Experten für tierversuchsfreie Verfahren in die Begutachtungsgremien integrieren. Der Erfolg der Maßnahmen soll als die Umverteilung der Forschungsförderung von Tierversuchen hin zu tierversuchsfreien Verfahren gemessen und jährlich veröffentlicht werden (7). „Für Deutschland wäre eine solche Initiative ebenfalls wünschenswert“, so Walter.
Industrie und internationale Trends sprechen für tierversuchsfreie Verfahren
„In der Industrie wächst dagegen das Interesse an verlässlicheren, humanrelevanten tierversuchsfreien Verfahren“, so Walter weiter. Das liege nicht zuletzt an der wachsenden internationalen Dynamik: Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA plant den Verzicht auf Tierversuche bei bestimmten Medikamenten (8), die US-Umweltbehörde EPA sieht die Reduzierung von Tierversuchen vor (9), Australien verfolgt eine nationale Reduktionsstrategie (10) und auch in Europa wird an einer Roadmap zur tierversuchsfreien Chemikalienbewertung gearbeitet (11). Zudem hat die Industrie verständlicherweise kein Interesse daran, Zeit und Geld in Tierversuche zu investieren, die sich kaum auf den Menschen übertragen lassen. Dagegen lassen sich mit modernen tierversuchsfreien Verfahren für den Menschen relevantere Aussagen treffen und gleichzeitig Kosten reduzieren (8).
Politischer Handlungsbedarf
Zoe Mayer, tierschutzpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, kritisiert die Ablehnung der Reduktionsstrategie durch die Wissenschaftsallianz: „Dass sich nun Teile der Wissenschaft – insbesondere die Grundlagenforschung – öffentlich gegen die gemeinsam erarbeitete Strategie gestellt haben, ist sehr bedauerlich.“ Sie sieht dadurch den Innovationsstandort Deutschland gegen den Willen der Industrie ausgebremst (1).
Laut BMEL ist der Beteiligungsprozess formal noch nicht abgeschlossen. Man hoffe, dass die kommende Bundesregierung den begonnenen Prozess wieder aufgreife (1). Für eine solche Weiterverfolgung der Reduktionsstrategie gibt es viele gute Gründe. So wird der biomedizinische Fortschritt davon profitieren, wenn irreführende Tierversuche durch aussagekräftige humanrelevante Methoden ersetzt werden. Wesentlich dürfte für die neue Regierung auch der wirtschaftliche Aspekt sein und der Wunsch, die deutsche Pharma- und Biotechindustrie zukunftsfähig aufzustellen.
Ärzte gegen Tierversuche fordert daher die neue Bundesregierung auf, die begonnenen Arbeiten konsequent weiterzuführen. Eine kluge Reduktionsstrategie ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer modernen, humanrelevanten Forschung – sowohl aus ethischer als auch aus wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht.
Quellen
(2) Fragwürdige Pro-Tierversuchskampagne geplant, Ärzte gegen Tierversuche, 15.04.2025 >>
(4) Why are clinical development success rates falling? Biomedtracker, 29.04.2024 >>
(5) Tierversuchsfreie Hirnforschung, Ärzte gegen Tierversuche, 16.12.2025 >>
(7) NIH to prioritize human-based research technologies, National Institutes of health, 29.04.2025 >>
(10) Australien setzt auf eine Zukunft ohne Tierversuche, Ärzte gegen Tierversuche, 14.04.2025 >>