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Frühjahr 1929. Der junge Assistenzarzt Werner Forßmann arbeitete unter Sanitätsrat Richard Schneider in der chirurgischen Abteilung des Auguste-Viktoria-Heims in Eberswalde.

Schon während des Studiums war ihm die Ungenauigkeit und Unsicherheit der Herzdiagnostik aufgefallen. Perkussion, Auskultation, Röntgenuntersuchung und EKG (Elektrokardiogramm) waren die Standardmethoden, wovon Perkussion und Auskultation so weitgehend von den Sinnesorganen der jeweiligen Untersucher abhingen, dass sie einer subjektiven Deutung viel zu großen Spielraum ließen. Immer wieder erlebte Forßmann, „dass unsere klinischen Diagnosen in einem nicht vertretbaren Maße von dem abwichen, was der Pathologe auf dem Obduktionstisch demonstrierte.“ Das war besonders für diejenigen schmerzlich, denen eine rationelle Herzchirurgie vorschwebte. (1)

Denn wenn, wie sein Zeitgenosse Geheimrat Ferdinand Sauerbruch es einmal ausgedrückt hat, die Chirurgie die Heilmethode ist, die mechanisch angreifbare Krankheitszustände mit mechanischen Mitteln beseitigt, lag es auf der Hand, dass dieser Schritt gegangen werden musste! (1)

Forßmann: „Ich glaubte, dass das Problem gelöst werden könnte, wenn man einen Weg fände, auf dem man gefahrlos in das Herz eindringen konnte, ohne die komplizierten Druckverhältnisse im Thorax zu stören, ohne vegetative Reflexbahnen anzutasten und ohne wichtige Lebensfunktionen durch eine Narkose zu verändern.“ (1)

Seit über 70 Jahren war diesen Fragestellungen schon in Tierexperimenten nachgegangen worden. Forßmann hatte während seines Studiums alte Abbildungen der Arbeiten von Claude Bernard, Chaveau und Marey gesehen, ihm erschien aber der bei den Tierversuchen verwendete Zugang über die große Halsvene oder auch die oberflächlichen Halsvenen als ungeeignet. Er wählte wegen des gradlinigen Verlaufs, der geringeren Komplikationen und der Anordnung der Klappen den Zugang über die Venen in der Ellenbeuge. (1)

Im Frühsommer 1929 trug Forßmann Sanitätsrat Schneider seinen Plan vor und erbat dessen Zustimmung zur Ausführung des Experiments. Schneider lehnte ab, nicht weil er den Plan für schlecht hielt, im Gegenteil! Er hielt den Plan für gut und richtig, traute sich aber nicht, Experimente an seinem kleinen Hause durchzuführen, die nicht an großen Kliniken erprobt waren. Der von Forßmann vorgeschlagene Selbstversuch wurde ihm ebenfalls verboten. Forßmann war aber so besessen von seinem Plan, dass er beschloss, diesen Selbstversuch heimlich durchzuführen.

Schwester Gerda Ditzen, die sich bereit erklärt hatte, den Versuch bei sich durchführen zu lassen, wurde im letzten Moment von Forßmann „übertölpelt“ und musste zusehen, wie er sich den Katheter selbst legte, für sie waren nur kleine Hilfsleistungen vorgesehen.

Forßmann schob einen Ureteren-Katheter durch seine eigene freigelegte Ellenbogenvene, erreichte unter Röntgenkontrolle bei 30 cm seinen Oberarmkopf, schob den Katheter bis zur 60 cm-Marke weiter und „jetzt zeigte der Spiegel den Katheter im Herzen und mit seiner Spitze im rechten Ventrikel, genau wie ich es mir vorgestellt hatte.“ (1)

Sanitätsrat Schneider warf Forßmann anschließend Wortbruch und Vertrauensmissbrauch vor, wurde aber durch die Röntgenfilme überzeugt und gratulierte Forßmann mit den Worten: „Sie haben etwas ganz Großes entdeckt!“ Am 5. November 1929 erschien Forßmanns Arbeit „Über die Sondierung des rechten Herzens“ in der „Klinischen Wochenschrift“.

1956 erhielt Werner Forßmann den Nobelpreis für Medizin. In einem Radio-Interview aus diesem Jahr berichtete er, dass er selbst auf vorausgehende Tierversuche verzichtet hat, um die Ungefährlichkeit dieser Methode am Menschen zu beweisen! (2) Die später von ihm durchgeführten Tierversuche zeigten, dass Tiere (Kaninchen und Hunde) die Kontrastmittelgabe „gar nicht so gut“ vertragen wie der Mensch. Forßmann hätte den Selbstversuch nicht gewagt, wenn er die Tierversuche vorangestellt hätte.

Jahre später erfuhr Werner Forßmann von Prof. Dr. Hans Schadewaldt von einer Veröffentlichung von H. Stürzbecher mit dem Titel „Die Cholera, Dieffenbach und Catheterisierung des Herzens 1831“ (Deutsch. Med. Journal 1971; 22: 470-471). Demnach hatte jemand vor ihm bereits einen Herzkatheter gelegt. Johann Friedrich Dieffenbach hatte einen Katheter über eine Arterie in das linke Herz eingeführt, um bei einem sterbenden Cholerakranken durch mechanische Reize die Herztätigkeit anzufachen. (1)

3.9.2019
Katharina Feuerlein, Ärztin
 

Quellen

(1) Forßmann, Werner: Selbstversuch - Erinnerungen eines Chirurgen. Verlag Dr. Köster Berlin, 4. Auflage 2009; S. 99 -115

(2) SWR2: Selbstversuche in der Naturwissenschaft und Medizin, 8.8.2017