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Die Chimäre ist ein fiktives Mischwesen in der griechischen Mythologie, welches sich aus zwei oder mehreren Lebewesen zusammensetzt. Manche Wissenschaftler aber transferieren dies in die Realität: Sie möchten Tiere als lebende „Containertiere“ züchten, welche Organe aus menschlichen Zellen enthalten, mit dem Ziel, diese eines Tages auf Menschen zu transplantieren. Dieses Vorhaben ist nicht nur ethisch verwerflich, sondern auch aus wissenschaftlicher Sicht hochgradig fragwürdig.

Mischwesen aus zwei verschiedenen Arten

In der Biologie werden Chimären als ein Organismus oder ein Gewebe bezeichnet, welche aus mindestens zwei genetisch unterschiedlichen Zellpopulationen bestehen, also „Mischwesen“. Diese können durchaus natürlich entstehen, wie zum Beispiel Blutchimären bei eineiigen Zwillingen (1). Schlüsselwort ist hier das Wort „natürlich“, d.h., sie entstehen ohne Einwirkung von außen. In der heutigen Zeit werden Chimären mithilfe molekularbiologischer und genetischer Techniken erschaffen – aber auch dies ist nicht neu: Die ersten Säugetier-Chimären aus Maus und Ratte wurden bereits in den frühen 1970er Jahren erzeugt und beschrieben (2).

Tiere als „Container“

Das Verfahren, welches in den letzten Jahren genutzt wird, ist dagegen relativ neu und nennt sich „induzierte pluripotente Stammzellen (iPSC)“. Diese können aus jeder menschlichen Zelle durch eine Art „Rückprogrammierung“ erzeugt werden. Das heißt, es werden Haarwurzel- oder Hautzellen eines Menschen gewonnen und im Labor in iPSC verwandelt. Diese Stammzellen haben die Fähigkeit, sich in jede Zelle eines Körpers zu differenzieren – also zum Beispiel zu insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse. Der japanische Stammzellforscher Hiromitsu Nakauchi machte 2010 Schlagzeilen, als es ihm gelang, eine Ratten-Bauchspeicheldrüse in Mäusen wachsen zu lassen (3). In späteren Experimenten will er menschliche Zellen in einen Schweineembryo einsetzen, welcher gentechnisch so verändert wurde, dass dieser selber keine Bauchspeicheldrüse bilden kann – diese soll dann aus den menschlichen Stammzellen wachsen (4).

In Japan mussten bisher Experimente, für die menschliche Zellen in einen Tierembryo eingebracht wurden, spätestens 14 Tagen nach Befruchtung abgebrochen werden. Seit 2019 erlaubt das Land jedoch die Geburt solcher Chimären (4). Nakauchi soll der erste sein, der dieses testen darf. Ein Austragen der Mensch-Tier-Chimäre ist derzeit noch nicht vorgesehen, allerdings haben diese Experimente genau dies zum Ziel. In Deutschland sind nach dem Embryonenschutzgesetz solche Experimente verboten, sofern menschliche Stammzellen involviert sind. Das „Containertier“ mit der menschlichen Bauchspeicheldrüse wird nach Transplantation des Organs in den Patienten nutzlos und somit nach Entnahme getötet und entsorgt. Da die Zellen aus dem Patienten selber stammen, erhofft man sich keine oder nur geringe Abstoßungsreaktionen des Immunsystems des Patienten – eine Problematik, die bei jeder Organspende auftritt und mit dieser Variante gelöst werden soll. Soweit die hoffnungsschürende Theorie der Forscher.

Wissenschaftlich gefährlich

Der Eingriff im Embryonenstadium soll ermöglichen, dass sich ein „harmonischer Gesamtorganismus“ ausbildet. Allerdings ist besonders in diesem Entwicklungszeitpunkt kaum möglich, zu kontrollieren, wo sich die menschlichen Zellen ansiedeln und in welche Zellart sie sich differenzieren. Letzteres soll mit genetischen Schaltern gesteuert werden, die aber noch nicht vollends ausgereift sind. Zudem ist es möglich, dass Zellen auch in das Gehirn des „Wirtstieres“ eindringen und kognitive Veränderung hervorrufen (2,5). Meist werden Schweine oder Schafe verwendet (6,7), da diese eine anatomisch ähnliche Größe wie der Mensch haben. Aus vergangenen Experimenten ist bekannt, dass das äußere Erscheinungsbild und auch die Organgröße sich dem „Wirtstier“ anpasst, in dem es sich entwickelt hat (2,6). Was vielleicht zwischen Mäusen und Ratten funktioniert, die sich vor ca. 20 Millionen Jahren evolutionär getrennt haben, funktioniert aber bei Menschen und Mäusen nicht, die sich vor 90 Millionen Jahren getrennt haben.

Eine Mensch-Maus-Chimäre ist bereits wissenschaftlich gescheitert, was mit der genetischen Entfernung erklärt wird (2). Da Mensch und Schwein sowie Mensch und Schaf sich aber vor ca. 96 Millionen Jahren voneinander getrennt haben (8): Wie kann ernsthaft behauptet werden, dass diese Experimente dann von Erfolg gekrönt sein werden? Im letzten Jahr wurde nichtsdestotrotz ein weiterer Schritt auf diesem Weg in China unternommen: Schweine gebaren Schwein-Primaten-Chimären. Wie so oft wurde dies in der Publikation als großer Erfolg dargestellt; schaut man sich die Ergebnisse genauer an, erscheint es in einem anderen Licht: Von 4.359 Blastozysten entstanden nur 3 chimäre Embryonen; aus 3 Schwangerschaften ergaben sich ein Abort und 10 chimäre Ferkel, die jedoch nur eine Woche überlebten (9).

Zu bedenken ist, dass die Organe bzw. ein bestimmtes Organ unter einem völlig anderen Stoffwechsel, tierischen Hormonhaushalt und artfremder Signalübertragung heranwächst. Wie sich dieses Organ verhält, wenn es in einen Menschen transplantiert wird, kann kein Tierversuch hervorsagen. Die Chimärenforschung erinnert an die Xenotransplantation-Forschung (Transplantation ganzer Organe unterschiedlicher Arten), die ebenfalls seit Jahrzehnten angebliche Erfolge und Durchbrüche feiert, es bis heute aber lediglich grausame Experimente sind. Beispielsweise werden Schweineherzen in Paviane verpflanzt, die Primaten sterben innerhalb verschiedener Zeiträume qualvoll an Organversagen. Die Vorhersagen der letzten Jahrzehnte, dass innerhalb der nächsten x Jahre Organe serienmäßig ausgetauscht werden können, haben sich alle nicht bewahrheitet (10). Vielleicht auch deshalb hält sich Chimären-Forscher Nakauchi mit absoluten Zahlen zurück und erwähnt lediglich, dass es „[….] allerdings noch Jahrzehnte dauern […]“ kann (11).

Ethisch abzulehnen

Bei der Chimären-Forschung ist die Instrumentalisierung des Tieres besonders drastisch. Fühlende Lebewesen werden zu „Containern“ degradiert. Tiere werden mit verschiedensten Methoden manipuliert, um als Ersatzteillager zu fungieren. Selbst wenn das menschliche Organ, welches in dem Tier heranwächst, ihm selber objektiv keinen Schaden zufügt, kann man nicht sichergehen, dass das Tier nicht doch leidet, da Tiere Schmerzen oft erst spät oder gar nicht zeigen. Fakt ist, dass allein schon die Forschung mit einem enormen „Verbrauch“ an Tieren einhergeht, denn am Ende eines Experiments steht immer der Tod. Bei der ethischen Problematik geht es aber nicht nur um das mit dieser Forschung unweigerlich verbundene Tierleid, sondern vor allem auch um die Frage, ob wir alles dürfen, was wir können. Für Ärzte gegen Tierversuche steht außer Frage, dass der tierexperimentellen biomedizinischen Forschung ethische Grenzen gesetzt werden müssen. Bei der Frage der Ethik darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass sowohl Chimären- als auch Xenotransplantationsforscher mit ihren Ausführungen erkrankten Menschen Heilversprechen suggerieren, die nicht haltbar sind.

Innovative Ansätze existieren bereits

In den letzten Jahren gibt es im Bereich der tierfreien Methoden große Fortschritte, die enormes Potenzial für die Erforschung und Behandlung von Krankheiten bieten. Mittels iPSC, also die oben genannten aus Haut- oder Haarwurzelzellen des Patienten selber gewonnen Alleskönner-Zellen, können heutzutage Mini-Organe wie schlagende Herzen, Mini-Gehirne sowie Nieren- oder Leber-Organoide gezüchtet werden (12). Forschern ist es gelungen, mittels eines 3D-Druckers ein kleines Herz aus Humanmaterial zu drucken (13). Mit solchen menschlichen Mini-Organen oder kombiniert als Multi-Organ-Chip lassen sich die Krankheiten des Menschen an der Zielspezies erforschen.

Die tierversuchsbasierte Forschung moniert, dass diese Methoden noch nicht ausgereift sind – aber im Gegensatz zu den ethisch verwerflichen und wenig erfolgsversprechenden Tierexperimenten gibt es diese neuen Methoden erst seit ca. 15 Jahren und trotz völlig unzureichender Förderung hat sich dieser Zweig rasant entwickelt. Hier darf also völlig zu Recht großes Potenzial gesehen werden.

Auch Ursachenforschung und Vorbeugung von Krankheiten muss ein viel größeres Feld eingeräumt werden. Die häufigste Todesursache in Deutschland mit 344.500 Toten im Jahr 2018 geht auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurück (14), Krebserkrankungen folgen mit 227.600 Toten auf dem zweiten Platz. Mit Fokus auf gesunde Ernährung, Bewegung und Einschränkung oder Verzicht auf Alkohol und Zigaretten könnte die Zahl der Erkrankungen, die zum Organversagen führen, deutlich gesenkt werden. So könnten drei Viertel aller Herz-Kreislauftodesfälle, 90-95 % aller Krebsfälle und 90 % der Diabeteserkrankungen durch einen gesünderen Lebensstil wahrscheinlich verhindert werden (15-18). Allein die enorm hohen Zahlen zeigen, dass man beim Willen nach tiefgreifender Veränderung eher an der Stellschraube der Prävention drehen muss als sich auf jahrzehntelange, kostenintensive Forschung zum Leidwesen der Tiere zu verlassen, die eine Reparaturmedizin fördert und nicht auf Ursachenforschung und Heilung abzielt.

Fazit

Die Chimären-Forschung ist der völlig falsche Weg, die die Medizin immer weiter von ihrer eigentlichen Aufgabe, Krankheiten vorzubeugen und zu heilen, entfernt. Für die Erforschung, Behandlung und Heilung vieler Erkrankungen des Menschen muss die humanbasierte, tierfreie und damit ethische Forschung, die ein großes Potenzial besitzt, endlich angemessen gefördert werden – für eine zukunftsträchtige und erfolgreiche Medizin, damit weder Menschen noch Tiere leiden müssen.

03.10.2022
Dipl.-Biol. Julia Radzwill

Quellen

1. Tippett P. Blood group chimeras. A review. Vox Sangius 1983; 44(6):333-59

2. Suchy F., Nakauchi H. Annual Review of Cell and Developmental Biology 2017; 33:22.1-22.15

3. Kobayashi T. et al. Generation of rat pancreas in mouse by interspecific blastocyst injection of pluripotent stem cells. Cell 2010; 142:787–799

4. Cyranoski D. Japan approves first human-animal embryo experiments. Nature news, 26.07.2019

5. Han X. et al. Forebrain engraftment by human glial progenitor cells enhances synaptic plasticity and learning in adult mice. Cell Stem Cell 2013; 12(3):342-353

6. Wu J. et al. Interspecies chimerism with mammalian pluripotent stem cells. Cell 2017; 168(3):473–486.e15

7. Suchy F. et al. iPSC-derived organs in vivo: challenges and promises. Cell Stem Cell 2018; 22(1):21-24

8. Evolutionary timescale of life: http://timetree.org/ (abgerufen 24.03.2023)

9. Fu R. et al. Domesticated cynomolgus monkey embryonic stem cells allow the generation of neonatal interspecies chimeric pigs. Protein & Cell 2019; 11(2):97-107

10. Zietek T. Xenotransplantation: Wie immenses Tierleid als „Meilenstein“ verkauft wird. Ärzte gegen Tierversuche e.V., 13.12.2018

11. Japan erlaubt Geburt von Mischwesen aus Mensch und Tier. Spiegel.de, 31.07.2019

12. Zietek T. Tierversuchsfreie Forschung: Mini-Organe und Multi-Organ-Chips. Mitglieder-Infoheft Ärzte gegen Tierversuche 3/2018

13. Noor N. et al. 3D Printing of Personalized Thick and Perfusable Cardiac Patches and Hearts. Advanced Science 2019; 6:1900344

14. Destatis. Todesursachen 2017

15. Typ-2-Diabetes: Intensive Lebensstil-Intervention kann Medikamente ersetzen. Deutsches Ärzteblatt, 16.08.2017

16. Rund 70% der Herz-Kreislauferkrankungen weltweit sind vermeidbar. Assmann-Stiftung für Prävention, 18.9.2019

17. Anand P. et al. Cancer is a preventable disease that requires major lifestyle changes. Pharmaceutical Research 2008; 25:2097-2116

18. Hu F.B. et al. Diet, lifestyle, and the risk of type 2 diabetes mellitus in women. New England Journal of Medicine 2001; 345(11):790-797