Was kosten Tierversuche?
Förderung von Tierversuchen und tierversuchsfreien Methoden
Mehr als 99% der öffentlichen biomedizinischen Forschungsgelder fließen noch immer in Tierversuche
Ungefragt und ob wir wollen oder nicht, subventionieren wir alle Tierversuche mit unseren Steuergeldern. Wie viele Gelder von Bund, Ländern und EU tatsächlich in die tierexperimentelle Forschung fließen, weiß niemand genau. Statistiken darüber gibt es nicht – zumindest nicht öffentlich. Auch für die staatlichen Gelder, die für die tierversuchsfreie Forschung bereitgestellt werden, gibt es keine zentrale Übersicht. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, geben wir seit fast 20 Jahren unsere „Fördertabelle“ heraus.
Das System Tierversuch lebt von Verdunkelung und Verschleierung, so ist es auch beim Thema Fördergeld. Man kann nur über Indizien eine Abschätzung vornehmen, wieviel Geld jährlich in Tierversuche und tierversuchsfreie Verfahren investiert wird. Als wir vor fast 20 Jahren begannen, eine Übersicht zu erstellen, gab es auf der Seite der „Alternativen“* jährlich rund 4 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), eine Förderung durch ein Bundesland, nämlich Baden-Württemberg, in Höhe von 200.000 Euro sowie einige Preise von Stiftungen. Auf der Seite der Tierversuchsförderung führten wir einzelne Projekte und vor allem Laborneubauten auf. Diese sollten einen Eindruck von den Dimensionen geben, die punktuell in Tierversuche fließen.
* „Alternativen“ und 3R-Konzept
Wir setzen den Begriff „Alternative“ in Anführungszeichen, da dieser sowohl tierversuchsfreie als auch Methoden aus dem 3R-Bereich umfasst. Die 3R stehen für „Replace“, „Reduce“ und „Refine“. Dieses vor mehr als 60 Jahren von zwei britischen Wissenschaftlern etablierte Konzept beruht auf der Annahme, der Tierversuch sei eine prinzipiell sinnvolle Methode, die durch Ersatz (Replacement) mittels nicht oder weniger leidensfähige Systeme, durch Verminderung (Reduction) der Anzahl der Tiere oder durch Verfeinerung (Refinement), d.h. weniger schmerzhafte Versuche oder tierfreundlichere Haltungsbedingungen, verbessert werden könne. Eine Abkehr vom Tierversuch wird bei diesem Konzept nicht in Erwägung gezogen. Für Ärzte gegen Tierversuche sind die Rs Reduction und Refinement indiskutabel. Tierexperimente sind prinzipiell kein geeignetes Mittel des Erkenntnisgewinns für die medizinische Forschung und darüber hinaus ethisch verwerflich.
Auch der „Ersatz“ ist kritisch zu sehen, impliziert er doch, dass Tierversuche im Prinzip eine geeignete Methode für die medizinische Forschung seien, die lediglich ersetzt zu werden bräuchten, um zu relevanten Ergebnissen für den Menschen zu gelangen. Wir brauchen aber keinen bloßen Ersatz, d.h., eine Modifizierung eines falschen Systems, sondern einen umfassenden Paradigmenwechsel in Medizin und Forschung, einen Systemwandel weg vom archaische Tierversuch als Standard hin zu einer modernen, am Menschen orientierten Wissenschaft. Denn gänzlich tierversuchsfreie Methoden zum Beispiel mit menschlichen Miniorganen und Multi-Organ-Chips haben im Gegensatz zum Tierversuch wissenschaftlichen Wert und liefern für den Menschen relevante Ergebnisse.
Förderung von „Alternativen“ steigt
Die gute Nachricht ist, die Förderung von „Alternativen“ ist seither enorm gestiegen. Mehrere Bundesländer vergeben regelmäßige Förderungen und Preise. Hinzu kommen einige Beträge meist im fünf- oder sechsstelligen Bereich, die manche Bundesländer in einzelne 3R-Projekte* stecken, meist mit einer Laufzeit über einige Jahre. Für unsere Übersicht rechnen wir Einzelförderungen auf pro Jahr um. Beispielsweise finanziert das Land Hessen mit 1 Mio. Euro eine 3R-Professur an der Uni Frankfurt. Bei einer Laufzeit von 5 Jahren errechnet sich eine jährliche Summe von 200.000 Euro. Auf diese Weise kommen wir heute auf eine Gesamtsumme von rund 29 Mio. Euro, die in die 3R- oder „Alternativen“-Forschung gehen.
Die schlechte Nachricht ist, die öffentlichen Gelder, die in Tierversuche fließen, steigen auch. Kostete Anfang der 2000er Jahre ein neues Tierlabor meist noch einstellige Millionensummen, sind daraus in den letzten Jahren oft höhere zweistellige Millionenbeträge geworden. Das neue Tierlabor der Uni Jena war 2002 noch für 5,4 Mio. Euro zu haben und die Uni Bielefeld bekam 2003 ein neues Tierhaus für 3,3 Mio. Euro. Die 2021 fertiggestellte tierexperimentelle Einrichtung IMITATE an der Uni Freiburg kostete 57 Mio. Euro und die geplante Tierhaltungseinrichtung in Augsburg schlägt mit 35 Mio. Euro zu Buche.
Tierversuchsforschung für mind. 4,2 Milliarden Euro
Um eine Mindestsumme für Tierversuchsforschung nennen zu können, haben wir die Budgets der biologisch-medizinischen Fachbereiche der größten Forschungsfördergesellschaften in Deutschland zugrunde gelegt. Der Etat der relevanten Bereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) lag 2019 bei 1,42 Mrd. Euro (Gesamtbudget 3,3 Mrd. Euro). Bei der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) haben wir 73 von 167 Institute den Tierversuche durchführenden Fachbereichen zugerechnet mit einem Budget von 1,07 Mrd. Euro (gesamt 2,5 Mrd. Euro). Beide Institutionen werden fast ausschließlich aus Steuergeldern finanziert. Eingeflossen in die Berechnung sind außerdem die Jahresetats einiger staatlich geförderter tierexperimenteller Institutionen wie das Deutsche Primatenzentrum Göttingen (21,3 Mio. Euro) oder das Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg (23,5 Mio. Euro).
Dem gegenüber steht eine großzügig gerechnete Summe von ca. 29,8 Mio. Euro für 3R-Forschung*. Erschreckenderweise fließen die wenigen Fördergelder, die für diesen Bereich zur Verfügung gestellt werden, nicht nur in tierversuchsfreie Forschung, sondern oft in sogenannte Refinement- oder Reduction-Programme, die letztendlich dazu dienen, den Tierversuch weiter zu zementieren. So hat das Land Hessen 1 Mio. Euro für eine 3R-Professur mit Schwerpunkt „Refinement“ bereitgestellt. Von den von uns errechneten 29 Mio. Euro muss also eine unbekannte Euro-Größe für Refinement, Reduction sowie möglicherweise Doppelzählung abgezogen werden.
Insgesamt ergibt sich für diesen Ausschnitt der öffentlichen Fördergelder von Bund und Ländern ein katastrophales, skandalöses prozentuales Verhältnis von unter 1%!
Völlige Intransparenz
Fragt man die Bundesregierung nach Zahlen zur Förderung tierversuchsfreier Forschung, erhält man seit Jahren die mehr oder weniger gleiche Antwort, nämlich, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) „im Rahmen des Förderschwerpunktes ‚Ersatzmethoden zum Tierversuch‘ seit 1980 fast 600 Projekte mit einem Fördervolumen von insgesamt mehr als 190 Mio. Euro unterstützt“ habe. (1) Im Schnitt macht das 4,75 Mio. Euro pro Jahr. Daneben wird auf die Unterstützung der Stiftung set, den Tierschutzforschungspreis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und den Betrieb des Bf3R (ehemals ZEBET) mit zurzeit 1,5 Millionen Euro jährlich verwiesen. Anscheinend ist die Bundesregierung auch noch stolz auf diese winzigen Beträge. Angaben über die Kosten für Tierversuche bekommt man von offizieller Seite überhaupt nicht.
EU-weite Förderung im Promillebereich
In einer in der Fachzeitschrift ALTEX veröffentlichten Studie (2) wurden die „Alternativen“-Förderung der EU-Mitgliedsstaaten mit den jeweiligen Budgets für Forschung und Entwicklung verglichen. Dieses gibt natürlich keine Auskunft darüber, wie viele Gelder in Tierversuche fließen, soll aber die enorme Diskrepanz zwischen dem Gesamtbudget und den marginalen Beiträgen für „Alternativen“ aufzeigen. Erschreckend dabei ist, dass Deutschland im Europavergleich noch gut wegkommt. Von den damals 27 Mitgliedstaaten hat die Hälfte keine Infos bereitgestellt. Fünf Länder (Irland, Lettland, Luxemburg, Spanien und Tschechien) geben überhaupt kein Geld für tierversuchsfreie Forschung aus. Auf die verbleibenden 7 Staaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Großbritannien, Österreich und Schweden) verteilt sich eine Summe von 18,7 Mio. Euro, das sind 0,036 % des Gesamtbudgets für Forschung und Entwicklung dieser Länder. Deutschland liegt nach Großbritannien (damals noch EU-Mitglied) auf Platz 2. Für die „Alternativen“-Förderung wurden die üblichen rund 5 Mio. Euro aus dem Topf des BMBF angegeben. Bei einem Gesamtetat von etwa 73 Mrd. Euro kommt die Studie für Deutschland auf 0,068 % im Jahr 2013.
Konkrete Schritte in den USA
Die mangelnde Transparenz bei Tierversuchen betrifft in den USA vor allem die Statistiken. Denn hier werden Mäuse und Ratten – die im Labor am häufigsten verwendeten Tiere – nicht als Tiere angesehen und nicht in die staatlichen Tierversuchsstatistiken erfasst. Eine Schätzung geht davon aus, dass ca. 29 Milliarden US-Dollar jährlich für Tierversuche in den Biomedizin- und Agrarwissenschaften in den USA ausgegeben werden. (3) Eine gigantische Summe! Dennoch gibt es in den letzten Jahren wirklich positive Entwicklungen. So kündigte die US-Umweltschutzbehörde EPA 2019 an, dass sie die Finanzierung von Versuchen an Säugetieren bis 2025 um 30 Prozent reduzieren und bis 2035 vollkommen streichen will. (4) Weiterhin startete die US-Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde FDA im Jahr 2020 eine strategische Zusammenarbeit mit Emulate, einem der größten Entwickler und Hersteller von Multi-Organ-Chips, um die Sicherheit, Wirksamkeit und Wirkmechanismen von Medikamenten in Organchips zu bewerten. (5) Obwohl der Großteil der öffentlichen Mittel in den USA immer noch in Tierversuche fließt, geht das Land konkrete Schritte in Richtung einer tierversuchsfreien Forschung.
Fazit
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Förderung tierversuchsfreier Forschung in Deutschland leichte Fortschritte macht, allerdings immer noch unter 1 % der Tierversuchsförderung liegt. Bei der Finanzierung von Tierversuchen ist hingegen kein Paradigmenwechsel zu erkennen.
29.11.2022
Dr. med. vet. Corina Gericke
Dr. rer. nat. Dilyana Filipova
Quellen
(1) Antwort der Bundesregierung auf Kleine Anfrage vom 1.4.2020, Drucksache 19/18520
(2) Taylor K: EU member state government contribution to alternative methods. ALTEX 2014; 31(2):215-218
(3) Keen J: Animal Experimentation: Working Towards a Paradigm Change. Brill 2019:244–272
(4) U.S. EPA to eliminate all mammal testing by 2035. Science, 10.9.2019
(5) FDA partnership to apply lung chips to safety evaluation of COVID-19 vaccines and therapies. ALTEX 17.11.2020