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Das 3R-Konzept gibt einen Rahmen für „Reduction“, „Refinement“ und „Replacement“, also die Reduktion, die Verfeinerung und den Ersatz von Tierversuchen. Das in den 1950er Jahren entwickelte Prinzip sollte eine Leitlinie für einen ethischeren Umgang mit Tieren in der Wissenschaft geben. So sollten Tierversuche so weit wie möglich durch tierversuchsfreie Verfahren wie Zellkulturen oder Computermodelle ersetzt werden. Zudem sollte die Anzahl der Tiere in den Versuchen so weit wie möglich reduziert werden und Tierversuche so verfeinert werden, dass sie möglichst wenig Leiden verursachen.

Hat das 3R-Prinzip sein Ziel erreicht?

Eine konsequente Nutzung des 3R-Prinzips hätte folglich zu einer deutlichen Reduktion der Zahl der in Tierversuchen eingesetzten Tiere führen müssen. Bailey attestiert jedoch, dass der „Tierverbrauch“ in der Wissenschaft mit der Zeit gestiegen ist und dass Tierversuche als Goldstandard noch immer die erste Wahl sind und nicht erst nach sogfältiger Prüfung als „letzten Ausweg“ eingesetzt werden, wenn keine tierversuchsfreien Methoden zur Verfügung stehen.

Die 3R konsolidieren Tierversuche

Bailey erläutert, wie das 3R-Prinzip dazu führt, dass ein großer Teil der Bemühungen vom wichtigsten „R“ - dem Ersatz von Tierversuchen - auf die beiden anderen „Rs“ (Verfeinerung und Reduktion) gelenkt wird, welche den Wert von Tierversuchen zum Nutzen des Menschen als gegeben annehmen. So wird eine kritische Auseinandersetzung mit Tierversuchen verhindert.

Andererseits steigt die Zahl der Wissenschaftler, die erkennen, dass Tierversuche sich nicht auf den Menschen übertragen lassen und aufgrund eines Mangels an Evidenz als unwissenschaftlich zu betrachten sind. So tragen Tierversuche nicht wesentlich zum Verständnis der Ursachen menschlicher Krankheiten bei und führen nicht zur Entwicklung sicherer und wirksamer Therapien. Zu der mangelnden Übertragbarkeit von Tierversuchen hat allein Bailey über 60 Artikel veröffentlicht, in denen belegt wird, dass die Übertragbarkeit von Tierversuchen extrem schlecht ist. Trotz dieser Belege für das Versagen von Tierversuchen hat sich die Einsicht, dass eine Fokussierung auf human-relevante Forschung nötig ist, bisher nicht durchgesetzt. Stattdessen glaubt ein Teil der Wissenschaftler, dass die mangelnde Übertragbarkeit sich durch weitere Verfeinerung von Tierversuchen oder genetische Veränderung der sogenannten Versuchstiere beheben lässt.

In Teilen der Forschungsgemeinschaft hat sich zudem die Einstellung festgesetzt, dass die Berücksichtigung eines der „Rs“ genug sei. In Kombination mit der Tatsache, dass es für tierexperimentell arbeitende Forscher einfacher ist, ihren Tierversuch zu „verfeinern“ als auf möglichweise besser geeignete tierversuchsfreie Methoden umzusteigen, die sie jedoch erst erlernen oder entwickeln müssten, führt dies zur „Verewigung“ des Systems Tierversuch. Hier kritisiert Bailey, dass es unwissenschaftlich sei, Tierversuche zu verfeinern oder die Anzahl der beteiligten Tiere zu reduzieren, wenn die Tierversuche von geringer oder keiner menschlichen Relevanz sind. Unter solchen Umständen muss der Ersatz des Tierversuchs die einzige Vorgehensweise sein.

Das Festhalten an Tierversuchen hat fatale Folgen

Das Festhalten an Tierversuchen führt zum Versagen der Wissenschaft, die einen Nutzen für den Menschen bspw. durch eine klinische Anwendung schuldig bleibt. Dies hat direkte Auswirkung auf Patienten und ihre Familien, die auf eine wirksame Therapie warten. In Angesicht des Scheiterns der tierexperimentellen Forschung stellen sich auch ethische Fragen in Bezug auf die eingesetzten Tiere, die umso schwerer wiegen, als selbst dort, wo es bereits validierte tierversuchsfreie Verfahren gibt, noch immer Tiere verwendet werden.

Es ist Zeit das 3R-Prinzip zu ersetzen

Bailey schlussfolgert, dass das 3R-Prinzip durch etwas Effektiveres ersetzt werden sollte. Dazu stellt er unter anderem das von Animal Free Research UK als Ersatz für die klassischen 3Rs entwickelte Konzept „Relevance“, „Reliability“ und „Responsibility“ (Relevanz, Zuverlässigkeit und Verantwortung) vor. In diesem Konzept erfordert „Relevanz“ eine Forschung, die von unmittelbarer Bedeutung für den Menschen ist, wie beispielsweise menschliche Zellkultur-Systeme und Organ-on-a-Chip Ansätze. „Zuverlässigkeit“ beschreibt Kriterien für wissenschaftlich hochwertige Methoden, die reproduzierbar und für den Menschen relevant sind und keine Probleme im Zusammenhang mit der Übertragbarkeit von einer Art auf die andere aufweisen. Der Begriff der „Verantwortung“ bezieht sich schließlich zum einen auf ein stärkeres Engagement für die Tiere, die in Laboratorien verwendet werden, aber auch für die Menschen, die durch Verwendung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Methoden besser von der Forschung profitieren können.

Fokussierung auf den Menschen

Das Wohlergehen von Mensch und Tier sollte Hand in Hand gehen. Bailey erwartet, dass ein stärkerer Fokus auf das menschliche Wohlergehen den Ersatz von Tierversuchen beschleunigen wird, da dies relevante und aussagekräftige Methoden erfordert – die ausnahmslos auf den Menschen ausgerichtet sind. Die Anwendung dieses Konzepts, welches von Bailey „humanity criterion“ (Kriterium der Menschlichkeit) genannt wird, würde so unmittelbar dazu führen, dass weniger Tierversuche durchgeführt werden.

Zudem würde das Kriterium der Menschlichkeit die Unmenschlichkeit gegenüber Tieren angemessener berücksichtigen und ebenso die Unmenschlichkeit dem Menschen gegenüber, der unter den Folgen einer nicht auf den Menschen übertragbaren tierversuchsbasierten Forschung leidet. So regt Bailey auch an, dass der mögliche Schaden, der Menschen durch Tierversuche entsteht, bei der Schaden/Nutzen-Beurteilung von Tierversuchen berücksichtigt werden sollte.

Konkrete Schritte zur Umsetzung

Bailey regt eine Umverteilung der Fördermittel an, welche stärker in den Ersatz von Tierversuchen fließen sollten. Zudem zeigt er auf, dass der Ersatz von Tierversuchen in Begutachtungsprozessen und bei der Genehmigung von Tierversuchen stärkere Berücksichtigung finden muss, wozu den Gutachtern und Behörden die notwendige Expertise zur Verfügung gestellt werden muss. Auch sollten Projekte die Tierversuche beinhalten bereits früh und kritisch geprüft werden, etwa wenn die Forscher dafür Fördermittel einwerben. Die Beschäftigung der Forscher mit dem Thema Ersatz von Tierversuchen sollte über das derzeit übliche Ankreuzen von Kästchen in Formularen hinausgehen und in nachvollziehbaten Art und Weise dokumentiert werden.

Fazit

Bailey schlussfolgert, dass das 3R-Prinzip nicht nur nicht ausreicht, sondern sogar kontraproduktiv ist, indem es den Fokus auf die Reduktion und die Verfeinerung von Tierversuchen legt, anstatt den Ersatz von Tierversuchen anzustreben. Somit ist es an der Zeit, das 3R-Prinzip hinter sich zu lassen. Hier würde aufgrund der mangelnden Übertragbarkeit von Tierversuchen eine Fokussierung auf die beste verfügbare Wissenschaft zu einer Abwendung von Tierversuchen und Hinwendung zu tierversuchsfreien und human-relevanten Methoden führen.

Zusammenfassung
18.06.2024
Dr. rer. nat. Johanna Walter

Quelle

Bailey J. It’s time to review the three Rs, to make them more fit for purpose in the 21st century. Alternatives to Laboratory Animals 2024, 52(3): 155-165