Sprache auswählen

To Homepage

29. Juli 2015

Der Autor einer in der renommierten Fachzeitschrift „Immunity“ publizierten Studie fordert eingehend eine Fokussierung der immunologischen Wissenschaft auf den Menschen und sich zu distanzieren von der bisher gängigen Forschungspraxis mit Inzuchtstämmen der Maus. Denn kaum eine Erkenntnis aus der immunologischen Grundlagenforschung führe zu einer klinischen Standardanwendung.

Obwohl nach Ansicht des Autors die Mausforschung durchaus viele Erkenntnisse über grundlegende Mechanismen des Immunsystems von Säugetieren geliefert hat, sei die Übertragung in die klinische Anwendungen für den Menschen bisher wenig beeindruckend.

Die Immunologie ist ein über die letzten 50 Jahre extrem schnell gewachsener Zweig der Biowissenschaften. In dieser Zeit wurden die Strukturen von Antikörpern und Immunzellrezeptoren aufgedeckt. Man fand Systeme der angeborenen Immunität, verschiedene Immunzellen für spezifische Antworten auf eindringende Erreger und Dutzende von Botenstoffen, durch welche die Kommunikation zwischen den Zellen des Immunsystems möglich ist. Weiter wurden viele Impfstoffe entwickelt (viele davon aber bereits bevor die Maus in der Immunologie zum Standard wurde) und es entstand eine neue Form der Pharmakologie mit spezifischen Antikörpern und Immunmodulatoren als Wirkstoffe gegen Krankheiten (sogenannte Biopharmazeutika).

Dennoch gäbe es laut Verfasser dieser Studie ein ernsthaftes Problem, was darin besteht, dass bisher kaum eine Errungenschaft immunologischer Grundlagenforschung den Weg zu einer klinischen Standardanwendung geschafft hat.

Eine zentrale Aussage dieser Studie ist, dass Wissenschaftler verlässliche Messparameter für die immunologische Gesundheit des Menschen finden und geeignete Messsysteme etablieren müssten, um humane Krankheiten besser zu verstehen. Dies würde natürlich auch für Mäuse gelten, sofern man sich mit deren Erkrankungen beschäftigen möchte.

Blindes Vertrauen in das Mausmodell

Nach Aussage des Verfassers hat die Mausforschung für grundlegende Mechanismen des Immunsystems der Säugetiere viele Erkenntnisse gebracht, was dazu geführt hat, dass viele Wissenschaftler starr daran festhalten, um jeder erdenklichen Fragestellung nachzugehen. Es gibt mittlerweile eine große Fülle an Möglichkeiten für die Mausforschung, so dass Experimentatoren keinen wirklichen Grund sehen, um mit einer anderen Spezies, einschließlich Menschen, zu arbeiten. Zudem sei das Arbeiten mit Mäusen zum Standard geworden, um die Ergebnisse in angesehenen Fachzeitschriften veröffentlichen zu können, was wiederum für den beruflichen Erfolg eines Wissenschaftlers unerlässlich ist. Klinische Immunologen hätten aus diesem Grunde stets einen „Vorrat“ an Mäusen, um ihre Veröffentlichungen und das Einwerben von Forschungsmitteln vorantreiben zu können. Und das, obwohl es bereits zahlreiche Studien darüber gibt, dass die sogenannten „Mausmodelle“ zur Erforschung von Krankheiten und Wirkstoffkandidaten nicht auf den Menschen übertragbar sind. Das betrifft Modelle für Autoimmunkrankheiten, Krebsimmuntherapien und u.a. auch für neurologische Erkrankungen. In diesem Zusammenhang bezeichnet der Autor die Maus als „lausiges Modell“ für die klinische Situation des Menschen.

Warum aber ist die Maus so erfolglos als ein klinisches „Modell“?

Der Autor der vorliegenden Studie greift 3 wichtige Punkte heraus:

  1. Das Verwenden von Maus-Inzuchtstämmen habe eine Fülle von genetischen Defekten geschaffen, welche die Regulation von Immunantworten verändern.
  2. Viele „Modelle“ seien sehr künstlich. Sie haben mit der natürlichen Situation im Menschen oft gar nichts gemeinsam.
  3. Die große evolutionäre Distanz zwischen Maus und Mensch sei ein wichtiger Hinweis für das Scheitern des „Mausmodells“, wie auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Immunsystem einer kleinen, kurzlebigen Maus sich grundlegend von dem eines im Vergleich großen Individuums wie des langlebigen Menschen unterscheidet. Die Reproduktionsrate der Maus ist zudem deutlich größer als die des Menschen.

Es sei schwer zu sagen, welcher Punkt nun entscheidend ist, aber die Unterschiede zwischen Maus und Mensch seien bisher nicht systematisch erforscht worden. Wir befänden uns in einem Zustand der „Verleugnung“. Es wurde so intensiv in das „Mausmodell“ investiert, dass es undenkbar erscheint, davon Abstand zu nehmen. Stattdessen wäre ein gesteigertes Interesse an „humanisierten“ Mäusen zu verzeichnen. Tiere mit einem Defekt im Immunsystem bekommen menschliche Stammzellen oder weiße Blutzellen und sollen so die menschliche Situation widerspiegeln. Der Autor steht diesem „Verfahren“ sehr kritisch gegenüber und gibt zu bedenken, dass das Immunsystem einer „humanisierten“ Maus nicht mit dem eines Menschen vergleichbar ist.

Das menschliche „Modell“

Die Aufgabe der Wissenschaft bestünde nun darin, sich verstärkt auf die humane Immunologie zu konzentrieren und somit Fortschritte für die klinische Anwendung zu erbringen. Der Autor nennt zum Vergleich das Forschungsfeld der Humangenetik, welches in den 70er Jahren lediglich ein Schattendasein führte im Vergleich zur experimentellen Genetik an Fruchtfliegen und Würmern. Doch im Zuge der molekularbiologischen Entwicklungen wurde das „Human Genome Project“ ins Leben gerufen, was dazu führte, dass das Wissen über das menschliche Erbgut (Genom) rasant zunahm. Es eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten für die Erforschung menschlicher Krankheiten.

Was muss also getan werden?

Der Autor ist der Auffassung, dass zunächst das Bewusstsein der Wissenschaftler dahingehend zu lenken ist, dass die Mausforschung keine Antworten für alle Fragestellungen in der Immunologie erbringen wird. Weiter würde es nicht ausreichen, nur die Fördermittel für die humane Forschung zu erhöhen, denn die Möglichkeiten in der Mausforschung seien vielfältiger und weit weniger einschränkend als die Arbeit mit Menschen bzw. menschlichen Proben.

Der Autor dieser Studie schlägt vor, sich die Stärken der Forschung am Menschen bewusst zu machen und in den Vordergrund zu rücken. Diese wären:

  1. Billionen Menschen prüften sich selbst jeden Tag auf ihren Gesundheitszustand und viele von ihnen geben Blutproben bei Medizinern ab.
  2. Tausende von gesunden Freiwilligen könnten herangezogen werden, um parallel den „Normalzustand“ des Immunsystems zu untersuchen.
  3. Millionen Menschen würden jedes Jahr geimpft, was als Quelle für die Untersuchung eines normalen Immunsystems genutzt werden könnte, welches durch äußere Einflüsse gestört wurde.
  4. Eine Vielzahl spezifischer immunologischer Erkrankungen sei aufgetreten, darunter z.B. ca. 90 Autoimmunerkrankungen und mehr als 120 Immundefekte. Tausende von Infektionskrankheiten wirkten auf den Menschen ein, was Grund genug sei, dass man das menschliche Immunsystem besser verstehen müsse.

Daraus ergäbe sich, dass dringend breit angelegte Messsysteme für die humane Immunologie etabliert werden müssen, welche einheitliche Hochdurchsatzanalysen von klinischen Proben wie Blutproben ermöglichen. Das würde bedeuten, dass eine große Anzahl an Tests entwickelt werden muss, um jeden Immunzelltyp zu untersuchen und festgelegte Parameter beurteilen zu können. Dabei sei es sehr wichtig, zunächst einmal den „gesunden“ Immunstatus zu definieren, um diesen dann mit dem von kranken Menschen vergleichen zu können.

Die Vielfalt humaner Genetik wie auch die der Immunantworten könnte eine Quelle für neue Erkenntnisse der menschlichen Immunfunktionen unter dem ständigen Einfluss sich ändernder Umweltbedingungen sein. Die Entwicklung einer Infrastruktur der zur Datenanalyse benötigten Bioinformatik und das Erstellen von Meta-Analysen der Fachliteratur sei zudem entscheidend, um die Ergebnisse für die Öffentlichkeit nutzbar zu machen. Erste Ansätze seien vorhanden (z.B „Human Immune Monitoring Core“ an der Universität von Standford), müssten aber auf nationaler und internationaler Ebene weiter ausgebaut werden. Alle Anstrengungen in diesem Bereich würden ebenfalls der „personalisierten“ Medizin zu Gute kommen, welche für den Patienten maßgeschneiderte Therapien ermöglichen soll.

Quelle

Davis Mark M.:. A Prescription for Human Immunology. Immunity 2008 (29): 835-838
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2905652/pdf/nihms187583.pdf