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Die Publikation behandelt die weitverbreitete Präferenz von Tierversuchen in der medizinischen Forschung und zeigt Wege auf, wie damit umgegangen werden kann.

Tierversuchsfreie Forschungsansätze sind bereits zu einem wichtigen Instrument für die biomedizinische Forschung und die Entwicklung von Arzneimitteln geworden, da sie komplexe menschliche physiologische Zustände und therapeutische Reaktionen nachahmen können. Dazu werden sie immer effektiver und leichter zugänglich und bieten eine Möglichkeit, Tierversuche zu ersetzen.

Obwohl es weltweit Gesetze und Regularien wie z.B. das 3R-Prinzip zur Verringerung, Verfeinerung und Ersatz von Tieren in der Wissenschaft gibt, werden Tierversuche oft noch als „Goldstandard“ angesehen. Diese Annahme basiert auf der langen Geschichte der Verwendung von Tieren in der biomedizinischen Forschung. Diese haben aber starke Limitierungen.

Ein zentraler Aspekt ist die mangelnde Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Menschen: ca. 92 % der Medikamente, die in Tierversuchen vielversprechend erscheinen, scheitern in klinischen Studien am Menschen. Dies liegt unter anderem an den biologischen Unterschieden zwischen „Tiermodellen“ und dem Menschen sowie an den oft unzureichenden Methoden zur Validierung von Tierversuchsdaten. Zudem kosten Tierversuche viel und dauern verhältnismäßig lange.

Ein paralleles Problem ist die Vernachlässigung alternativer, nicht-tierischer Methoden in der Forschung, obwohl diese einer Analyse zufolge mehr als 24 Milliarden einsparen könnten, wenn diese statt Tierversuche eingesetzt werden würden.

Trotz ihrer Vorteile werden tierfreie Methoden nur langsam angenommen, da ihrer breiten Akzeptanz Hindernisse im Wege stehen, darunter die Präferenz für Tierversuche, d. h. die Bevorzugung von tierexperimentellen Methoden in Fällen, in denen sie nicht notwendig oder in denen tierfreie Methoden geeignet(er) sind. Dies wird Animal Methods Bias (Tierversuchsbias) genannt. Dies führt nicht nur zu einem unnötigen Leiden von Tieren, sondern kann auch dazu führen, dass vielversprechende Forschungsansätze übersehen oder Forscher von dem Einsatz dieser Methoden abgehalten werden.

Aufgrund des technologischen Fortschritts und der Verfügbarkeit moderner In-vitro- und In-silico-Modelle sind diese inzwischen trotz dieser Widerstände speziell in der präklinischen Forschung ein wichtiges Instrument. Diese Technologien wie Organoide (oder Spheroide), Multi-Organ-Chips, iPSC und computerbasierte Verfahren beruhen auf humanen Zellen und Daten. Teilweise unterliegen diese hohen Anschaffungskosten, so dass gezielte Förderung und eine verbesserte Infrastruktur hilfreich wäre. Eine höhere Akzeptanz ließe sich mit Guter Laborpraxis erreichen, so dass qualitativ hochwertige Experimente durchgeführt werden, die wiederum zu einer guten Reproduzierbarkeit und Evaluation führen. Psychologische Widerstände gegen die neuen Methoden können ebenfalls zu einer negativen Haltung gegenüber Publikationen oder Förderanträgen führen, die tierversuchsfreie Methoden als Basis haben.

Tierversuchsbias in wissenschaftlichen Veröffentlichungen

Die wissenschaftlichen Karrieren sowie Einstellungskriterien sind stark abhängig von Veröffentlichungen von Fachpublikationen. Publikationsbias ist definiert als die Beeinträchtigung der Wahrscheinlichkeit, dass eine Arbeit publiziert wird, durch die Ergebnisse der Studie. Hier wird die Frage gestellt, ob es möglich ist, dass nicht (nur) die Ergebnisse die Beeinflussung der Veröffentlichung darstellen, sondern die gewählten Methoden, sprich: Tierversuche bzw. tierversuchsfreie Methoden.

Tatsächlich berichten immer mehr Forscher, dass Gutachter Tierversuche nachfragen, selbst wenn die Autoren bereits belegt haben, warum Tierversuche im jeweiligen Fall nicht das passende Mittel sind. Eine ALTEX Studie beinhaltete eine Umfrage, bei der von 68 Teilnehmern 31 % angaben, Tierversuche bereits im Vorfeld durchgeführt zu haben - lediglich, um den Anfragen der Gutachter zuvorzukommen und nicht, weil sie diese für nötig hielten. 46 % gaben an, von Gutachtern zu Tierversuchen aufgefordert worden zu sein für Publikationen, in denen eigentlich keine Tierversuchsergebnisse enthalten waren. Von diesen hielten lediglich 10 % die Forderung für gerechtfertigt, 36 % dagegen hielten es für nicht gerechtfertigt. Der Eindruck bei den Befragten ist, dass die Gutachter eher aus Gewohnheit nach Tierversuchen fragen und nicht, weil dies notwendig oder relevant ist. Insbesondere scheint dies bei hochrangigeren Journalen der Fall zu sein. Mögliche Konsequenzen daraus sind Durchführung von unnötigen Tierversuchen, schlechteren Karrierechancen, Verzögerungen, Ablehnung oder Zurückziehung von Veröffentlichungen und/oder Veröffentlichung in weniger renommierten Journalen. Dies alles kann dazu führen, dass die Verwendung tierversuchsfreier Methoden unattraktiver wird.

Lösungsansätze

Bei einem Workshop wurden unter Beteiligung von Wissenschaft, Industrie, Redakteure von Fachzeitschriften, Regierungs- und Interessenvertretern Barrieren für die Auflösung des Tierversuchsbias identifiziert, im Einzelnen:

  • Hoher Forschungsdruck
  • Impact-Faktor
  • Finanzieller Rahmen
  • Tierversuche als „Goldstandard“
  • Institutionelle Trägheit und psychologischer Lock-in
  • Mangelndes Wissen über oder mangelndes Interesse an tierfreien Methoden

Folgende Empfehlungen wurden erarbeitet:

  • Sensibilisierung für den Tierversuchsbias bei Herausgebern, Gutachtern und der wissenschaftlichen Gemeinschaft, insbesondere bei Nachwuchswissenschaftlern
  • Stärkung des Vertrauens der Autoren in ihre Fähigkeit, die Forderungen von Gutachtern nach Tierversuchen anzufechten (Author Guide for Addressing Animal Methods Bias von Krebs et al., 2023a)
  • Lehrmaterial für Gutachter für bessere Bewertungen von Forschung ohne Tierversuche, bspw. analog des US National Institutes of Health (Advisory Committee to the Director Working Group on Catalyzing the Development and Use of Novel Alternative Methods to Advance Biomedical Research, 2023)
  • Prüfung von Anträgen auf Hinzufügung von Tierversuchen durch weiteren Gutachter
  • Priorisierung der Finanzierung von tierfreien, humanbasierten Methoden inklusive der Verbesserung von Zugang und Ausbildung

Aus dem Workshop ging die Coalition to Illuminate and Address Animal Methods Bias (COLAAB) hervor, die Belege über den Tierversuchsbias und die Folgen sowie Strategien zu deren Überwindung sammelt und implementiert.

Fazit

Tierversuchsfreie Methoden sind vielversprechend und die Forscher, die sich diesen Methoden vermehrt zuwenden, sollten dies tun können, ohne dass Gutachter Druck ausüben, indem sie Tierversuche verlangen. Aktuell herrscht in der Forschungsgemeinschaft eine Voreingenommenheit, die den Verbrauch von Tieren in der Forschung belohnt und (damit) einen Einsatz von potenziell zuverlässigeren, humanbasierten Methoden blockiert. Um speziell die biomedizinische Forschung voranzubringen und Patienten mit sichereren und besseren Medikamenten zu versorgen, müssen Forscher, Arzneimittelentwickler und Förderorganisationen gegen den Tierversuchsbias vorgehen. Die Öffentlichkeit als Steuerzahler und damit Geldgeber sollte ebenfalls diese Macht gebrauchen, um den Wandel von Tierversuchen hin zu humanbasierten Methoden zu fordern.

Zusammenfassung
22.04.2024
Dipl.-Biol. Julia Radzwill

Quelle

Krebs C.E. and Herrmann K.: Confronting the bias towards animal experimentation (animal methods bias). Frontiers in Drug Discovery 2024(4)