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Die Ökotoxikologie beschäftigt sich mit den Auswirkungen von chemischen Substanzen und Schadstoffen auf Ökosysteme und die darin lebenden Organismen. Ihr Ziel ist es, potenzielle Risiken für die Umwelt zu bewerten und zu verhindern. Dazu sind immer noch Tierversuche vorgeschrieben, in denen vor allem Fische, aber auch andere Tiere, qualvoll leiden und sterben. Eine Umstellung der gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuche auf tierversuchsfreie Methoden ist aufwändig und langwierig. Dennoch wird ein solcher Umstieg zunehmend gefordert – und dies nicht nur von Tierschützern, sondern auch von der Industrie. 

Unternehmen, die Chemikalien herstellen oder in den Verkehr bringen, müssen detaillierte Umweltverträglichkeitsstudien vorlegen. Die ökotoxikologischen Tests, die dabei vorgeschrieben sind, richten sich nach den geltenden Richtlinien der Europäischen Union (EU) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Während erste tierversuchsfreie Verfahren Einzug in diese Richtlinien gehalten haben, werden in den meisten Fällen Tierversuche verlangt.

Tierversuche in der Ökotoxikologie

Vorgeblich, um die von einer Substanz ausgehenden toxikologischen Gefahren für die Umwelt zu untersuchen, werden Tierversuche durchgeführt. Dafür werden häufig Fische, aber auch Frösche und kleine Säugetiere wie Mäuse eingesetzt. Auch Wirbellose wie Wasserflöhe oder Springschwänze werden „verwendet“. Inwieweit solche Versuche an einigen wenigen Tierarten dazu beitragen, die Wirkung auf komplexe natürliche Lebensräume vorherzusagen, ist zweifelhaft.

Im Folgenden werden einige typische und häufig durchgeführte Tierversuche aus der Ökotoxikologie beschrieben.

Testung der akuten Toxizität

Akute Toxizitätstests werden durchgeführt, um die kurzfristigen (akuten) toxischen Wirkungen einer Substanz auf Organismen zu bestimmen. Häufig verwendete Tiere sind Fische (z.B. Zebrafische), Frösche und Wasserflöhe (Daphnien). In einem von der OECD akzeptierten Verfahren werden beispielsweise wenigstens 5 verschiedene Konzentrationen der zu testenden Substanz untersucht. Je Konzentration werden mindestens 7 Fische 96 Stunden lang der Substanz ausgesetzt und beobachtet. Es wird festgehalten, ob die Fische normal schwimmen oder bspw. in Seitenlage geraten oder an der Oberfläche treiben und ob ihre Atmung verändert ist und sie bspw. hyperventilieren. Ziel des Versuchs ist es, die Konzentration der Substanz zu bestimmen, bei der die Hälfte der Fische stirbt. Diese Konzentration wird LD50 genannt (von englisch: lethal dose = tödliche Dosis). Ein Eingreifen, wie etwa das Töten von Tieren, um ihren Todeskampf zu verkürzen, ist nicht vorgesehen. Die Fische, die den Test überleben werden am Ende getötet (1).

Zebrafisch
Zebrafisch

Chronische Expositionsstudien

Diese Tests untersuchen die Langzeitwirkungen von Schadstoffen auf Organismen, um Auswirkungen auf Wachstum, Fortpflanzung und Verhalten zu erkennen. In einem solchen von der OECD akzeptierten Test werden üblicherweise fünf Konzentrationen der zu testenden Substanz verwendet. Die Konzentrationen werden so gewählt, dass ein Teil von ihnen über der LD50 liegt (siehe oben), sodass mit Schäden zu rechnen ist. Es werden pro Konzentration mindestens 80 befruchtete Fisch-Eier eingesetzt. Dann wird beobachtet, ob und aus wie vielen der Eier Fische schlüpfen und ob die Embryonen, Larven und später die Jungfische die Behandlung mit der Testsubstanz im Wasser überleben. Es wird außerdem untersucht, ob sich Missbildungen, Atemprobleme oder Schwierigkeiten beim Schwimmen zeigen. Die Dauer des Tests unterscheidet sich je nach eingesetzter Fischart und kann zum Beispiel für Regenbogenforellen 60 Tage ab dem Schlüpfen betragen; zu diesem Zeitpunkt sind die Fische etwa 4 cm groß. Am Ende des Tests werden Größe und Gewicht der überlebendenden Fische ermittelt (2).

Weitere Tierversuche

In Fortpflanzungs- und Entwicklungsstudien werden oft Fische, Amphibien oder Krebstiere verwendet, um zu untersuchen, ob Schadstoffe z.B. Missbildungen bei Nachkommen oder Beeinträchtigungen der Fortpflanzung verursachen. In Bioakkumulationstests wird ermittelt, wie Chemikalien in den Körper von Organismen aufgenommen und dort angereichert werden. Oft werden Fische oder wirbellose Tiere verwendet und geprüft, wie viel eines Schadstoffes im Gewebe gespeichert wird.

fKrallenfrosch
Krallenfrosch

Tierversuchszahlen im Bereich Ökotoxikologie

Die jährlich von der Europäische Kommission veröffentlichte Tierversuchsstatistik erfasst auch regulatorische, also gesetzlich vorgeschriebene Versuche im Bereich Ökotoxikologie. Die Zahlen werden dabei nach den Kategorien akute Toxizität, chronische Toxizität, Reproduktionstoxizität, endokrine Aktivität, Bioakkumulation und weiteren, nicht näher beschriebenen Versuchen für die einzelnen Tierarten gelistet. Im Jahr 2022 wurden in der EU (mit Norwegen) 86.306 Tiere in Versuchen zur Ökotoxikologie eingesetzt. Davon waren 70.000 Fische, aber auch Frösche, Mäuse, Ratten, Hamster und Kaninchen sind in der Statistik enthalten (3).

Deutschland hat als eines der 28 in der Statistik vertretenden Länder mit 47 % aller im Bereich regulatorische Ökotoxizitätstests gelisteten Tierversuche einen ganz enormen Anteil daran (s. Abbildung 1). Auffällig ist vor allem der hohe Anteil an Versuchen zur chronischen Toxizität, endokrinen Aktivität und Bioakkumulation, von denen bis zu 88 % in Deutschland durchgeführt wurden (Tabelle 1). 

 

Akute Toxizi-tät

Chronische Toxizität

Reproduktions-toxizität

Endokrine Aktivität

Bioakku-mulation

Andere

Gesamt

Zebrafische

2.747

23.299

80

988

406

 

27.520

Andere Fische

2.092

4.008

0

786

1.376

15

8.277

Krallenfrösche

     

4.489

   

4.489

Gesamtzahl Deutschland

4.839

27.307

80

6.263

1.782

15

40.286

Gesamtzahl EU

36.347

37.086

710

8.286

2.027

1.850

86.306

Anteil Deutschlands an den EU-Zahlen

13 %

74 %

11 %

76 %

88 %

1 %

47 %

Tabelle 1: Im Bereich regulatorische Ökotoxikologie im Jahr 2022 in Deutschland durchgeführte Tierversuche im Vergleich zur EU (3).

Ökotoxikologie
Abbildung 1: Anteil Deutschlands an Tierversuchen im Bereich regulatorischer Ökotoxikologie im Vergleich zu den anderen Ländern, die solche Tierversuche für 2022 gemeldet haben (3).

Die Gesamtzahl der Tiere, die tatsächlich in der Ökotoxikologie in Versuchen eingesetzt wurden, ist jedoch viel höher als in der Statistik angegeben, denn es werden nicht alle Tiere in die Statistik aufgenommen. So gilt die Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (kurz: Tierversuchsrichtlinie) ausschließlich für lebende Wirbeltiere, einschließlich selbständig Nahrung aufnehmende Larven und Föten von Säugetieren ab dem letzten Drittel ihrer normalen Entwicklung (4). Damit werden Embryonen von Fischen und geschlüpfte Larven von Fischen (und auch Fröschen), die sich noch von ihrem Dottersack ernähren, nicht abgedeckt (5). Versuche an ihnen werden somit nicht als Tierversuche gezählt. Ähnliches gilt für Versuche an Wirbellosen, die rechtlich nicht als Tierversuche angesehen werden und keiner Genehmigung bedürfen. Somit bleibt eine große Zahl an Tieren wie bspw. häufig eingesetzte Wasserflöhe und Springschwänze in der Statistik unberücksichtigt. Auch dürfte es im Bereich Ökotoxikologie – wie bei anderen Tierversuchen – zu einer größeren Anzahl von sogenannten Überschusstieren (6) kommen, die für Tierversuche gezüchtet, aber nicht verwendet werden.

Zweifelhafte „Alternativen“ in der Ökotoxikologie

Es gibt zunehmend Bestrebungen, das Leid der Tiere für Versuche im Bereich der Ökotoxikologie im Sinne des sogenannten 3R-Konzepts zu verringern. Das in den 50er Jahren entwickelte Konzept zielt darauf ab, das Leid von Versuchstieren zu mindern. Dafür sollen Tierversuche ersetzt (engl. Replacement), die Anzahl der eingesetzten Tiere reduziert (engl. Reduction) und Schmerzen der Tiere verringert (engl. Refinement) werden. Das 3R-Konzept stellt jedoch den Tierversuch als Methode nicht in Frage, weswegen es von ÄgT abgelehnt wird (7). Oft wird dabei nicht einmal die Zahl der Tiere verringert. So werden statt Fischen in den Versuchen Fisch-Embryonen oder wirbellose Tiere wie Flohkrebse eingesetzt, von denen angenommen wird, dass sie unter den Versuchen weniger stark leiden.

Einige solcher „Alternativ“-Versuche sind bereits von der OECD anerkannt. Beim Fisch-Embryotoxizitätstest (FET) werden Fisch-Embryonen für 96 Stunden der zu testenden Chemikalie ausgesetzt. Dabei wird untersucht, ob es zu Entwicklungsstörungen kommt und ob der Herzschlag der Embryonen beobachtet werden kann. Am Ende des Versuchs wird untersucht, ob Larven aus den Eiern schlüpfen (7).

Für die Versuche gelten Fische nach dem Schlupf aus den Eiern als sogenannte „Eleutheroembryonen“, bis ihr Dottersack aufgebraucht ist und sie sich selbstständig ernähren. Als solche fallen sie nicht unter die Vorgaben der Tierversuchsrichtlinie. So werden in einem von der OECD akzeptierten Versuch bspw. gentechnisch veränderte Zebrafisch-Embryonen Testsubstanzen ausgesetzt, um zu überprüfen, ob die Stoffe auf die Hormonaktivität Einfluss nehmen. Am Ende der Versuche werden die nun zu Eleutheroembryonen herangewachsenen Tiere getötet, wozu sie nach Gabe eines Narkosemittels durch Kälte oder Zugabe von Bleichmittel getötet werden sollen (8). Dieses Vorgehen zeigt, dass die Leitlinienersteller auch diesen frühen Entwicklungsstadien von Fischen eine Leidensfähigkeit zugestehen. Ähnliche Tests werden auch mit gentechnisch veränderten Kaulquappen durchgeführt (9).

Vor dem Hintergrund, dass sie nicht unter die Tierversuchsrichtlinie fallen, werden Versuche mit Embryonen von Fischen und Fröschen oft sogar als „Alternativen“ zu Tierversuchen betrachtet. Auch Versuche mit Insekten sind nicht genehmigungspflichtig und werden daher als „Alternativen“ angesehen.

Tierversuchsfreie Verfahren

Neben diesen zweifelhaften sogenannten „Alternativen“ in der Ökotoxikologie werden zunehmend auch In-vitro-Verfahren unter Verwendung von Zellkulturen entwickelt. Im Folgenden werden einige Beispiele für solche Verfahren beschrieben, die zum Teil tierversuchsfrei sind oder aber das Potential dafür aufweisen, ohne Tiere auszukommen.

In-vitro-Modelle

In-vitro-Tests verwenden isolierte Zellen oder Gewebe, um die toxischen Wirkungen von Chemikalien auf lebende Organismen zu simulieren. So können verschiedene Zelltypen, wie z.B. Leberzellen oder Kiemenzellen, dafür verwendet werden, um toxische Effekte wie Zellschädigungen, oxidative Belastungen oder genetische Veränderungen zu messen.

Auch in die OECD-Leitlinien haben erste In-vitro-Tests bereits Einzug gehalten. Ein Teil der durch die OECD akzeptierten Methoden setzt allerdings noch primäre Zellen (10) oder Bestandteile solcher Zellen (11) ein. Bei primären Zellen handelt es sich um Zellen, die direkt aus Fischen gewonnen werden, wofür die Tiere üblicherweise getötet werden.

Es gibt bisher lediglich ein durch die OECD anerkanntes Testverfahren, welches auf Fisch-Zelllinien beruht. Bei der Zelllinie handelt es sich um Zellen, die ursprünglich aus den Kiemen einer Regenbogenforelle gewonnen wurden und sich seitdem im Labor vermehren lassen, ohne dass dafür neue Tiere getötet werden müssen. Die Kiemenzellen werden mit den zu testenden Substanzen in Kontakt gebracht und nach 24 Stunden wird geprüft, ob die Zellen noch lebensfähig sind. Dies erlaubt Aussagen über die akute Toxizität einer Substanz. Die Ergebnisse aus diesem In-vitro-Test sind in ausgezeichneter Übereinstimmung mit den in qualvollen Versuchen bestimmten LD50-Werten (12) und können daher mit Fischen gewonnene Daten zur akuten Toxizität ersetzen.

Auch für chronische Toxizitätstestungen sind In-vitro-Methoden möglich. So können bspw. Fischzelllinien in Kombination mit Computermodellen verwendet werden, um den chemischen Einfluss auf das Fischwachstum, welches ein häufiger sogenannter Endpunkt für chronische Toxizitätstests ist, quantitativ vorherzusagen (13). Dieser Test ist jedoch regulatorisch noch nicht anerkannt.

Ähnlich steht es um weitere moderne tierversuchsfreie Methoden, die aus der biomedizinischen Forschung übernommen wurden. 3D-Zellkulturen ahmen die Struktur von Organen oder Geweben genauer nach als herkömmliche Zellkulturen, bei denen die Zellen nur in einer flachen 2D-Anordnung wachsen. Sie bieten daher eine bessere Vorhersagekraft für Toxizitätstests. So lassen sich aus Zellen von Fisch-Zelllinien kleine dreidimensionale Konstrukte, sogenannte Organoide erstellen, die ein vielversprechender Ersatz für Fische in Toxizitätsstudien sind (14). Organoide einer Regenbogenforellen-Leberzelllinie könnten bspw. dazu genutzt werden, die in der Fischleber ablaufende Biotransformation von Schadstoffen, die Bioakkumulation und chronische Toxizität zu untersuchen (15).

Auch das Organ-auf-einem-Chip Konzept, bei dem Organe in miniaturisierter Form nachgebaut werden, wurde bereits auf Fische übertragen. Der erste Fisch-Darm-auf-einem-Chip basiert auf zwei Darmzelllinien der Regenbogenforelle und bildet die Darmbarriere des Fisches nach. Über feine Kanäle kann die zu testende Substanz durch den simulierten Fischdarm geleitet werden, während integrierte Elektroden den Zustand der Zellen beobachtet (16). Dieses Fisch-Darm-Modell eröffnet die Möglichkeit zur Vorhersage der Aufnahme von Chemikalien und ihrer Bioakkumulation in Fischen. Ebenso wie den Versuchen mit Organoiden fehlt leider auch dem Darm-auf-einem-Chip Konzept bisher die regulatorische Akzeptanz, sodass Anwendungen auf Forschungsarbeiten begrenzt sind.

Auch computergestützte Modelle (sogenannte In-silico-Methoden) können Tierversuche im Bereich der Ökotoxikologie ersetzen. Sogenannte QSAR (engl. Quantitative Structure-Activity Relationship)-Modelle verwenden chemische Strukturinformationen, um vorherzusagen, wie sich eine Substanz auf Umweltorganismen auswirkt (17). Sie basieren auf Daten von bekannten Substanzen und ihrer Toxizität. Somit fußen sie derzeit noch auf den Daten bereits durchgeführter Tierversuche, können jedoch dazu beitragen, neue Tierversuche zu verhindern.

Insgesamt wurde bereits eine Vielzahl von tierversuchsfreien Verfahren zur Toxizitätsbewertung entwickelt, von denen im Text nur einige wenige exemplarisch erwähnt werden. Leider beschränkt sich deren Anwendung bisher überwiegend auf Forschungsarbeiten.

Vorteile tierversuchsfreier Methoden

Gegenüber Tierversuchen bieten tierversuchsfreie Verfahren eine ganze Reihe von Vorteilen. Neben dem Ersatz von Tierversuchen und der ethisch vertretbaren Testung, sind dies vor allem eine größere Schnelligkeit und Effizienz. So ermöglichen In-vitro-Methoden Hochdurchsatztestungen, bei denen eine Vielzahl von Chemikalien parallel getestet werden kann. Dies ist insbesondere in Anbetracht der enormen Anzahl von Substanzen, die gemäß der Chemikalienverordnung REACH (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien) getestet werden müssen, ein entscheidender Vorteil, der tierversuchsfreie Verfahren auch für Unternehmen attraktiv macht, die ihre Produkte auf den Markt bringen möchten.

Auch könnten mit In-vitro-Tests mehr Tierarten berücksichtigt werden als mit Tierversuchen. Denn die Aussagekraft der Tierversuche – in denen nur einige wenige Arten eingesetzt werden – für gesamte Ökosysteme, in denen sehr viele verschiedene Arten leben und miteinander agieren, ist mehr als zweifelhaft. Tierversuchsfreie Hochdurchsatzmethoden würden hier nicht nur die parallele Testung vieler Chemikalien, sondern auch die Testung von Zellen verschiedener Tierarten ermöglichen. Dabei ist ausschließlich auf unsterbliche Zelllinien zurückzugreifen. So könnten Gefahren für komplexe Ökosysteme realistischer eingeschätzt und die Umwelt effektiver geschützt werden.

Trotz dieser Vorteile ist die Umstellung von Tierversuchen auf tierversuchsfreie Methoden im Bereich der Ökotoxikologie bisher schwerfällig und langsam.

Implementierung tierversuchsfreier Methoden: Status Quo

Um einen Tierversuch zu ersetzen, muss eine tierversuchsfreie Methode wissenschaftlich validiert und anerkannt sein. Dies ist ein langwieriger Prozess, da die neue Methode nicht nur entwickelt, sondern auch international standardisiert und von Regulierungsbehörden (z.B. der OECD) anerkannt werden muss.

Die OECD ist eine der wichtigsten Organisationen, die Standardmethoden für ökotoxikologische Tests veröffentlicht. Nach ihrer Entwicklung müssen die Methoden validiert werden. Wie dies zu geschehen hat wird von der OECD in einem Leitfaden beschrieben (18). Unter anderem müssen die neuen Testverfahren von mehreren Laboren bspw. in sogenannten Ringversuchen getestet werden. Die Methoden müssen im Anschluss der OECD vorgeschlagen und in deren Arbeitsplan aufgenommen werden. Dann wird aus der Methode ein Prüfrichtlinien-Vorschlag entwickelt, der von einem Expertengremium geprüft und kommentiert wird. Es werden üblicherweise mehrere Änderungs- und Kommentierungsrunden durchgeführt. Erst wenn am Ende des Prozesses, der mehrere Jahre dauern kann, der OECD-Rat zustimmt und die Prüfrichtlinie annimmt, gilt die neue Methode in den OECD-Mitgliedsstaaten als akzeptiert und darf in der Sicherheitsbewertung von Chemikalien eingesetzt werden (19).

Die Bewertung von Chemikalien ist somit ein komplexer Prozess, der nicht nur auf wissenschaftlichen Arbeiten beruht, sondern auch eine Vielzahl von rechtlichen Rahmenbedingungen genügen muss. Selbst nach erfolgreicher Entwicklung und Validierung tierversuchsfreier Verfahren, ist ihre Aufnahme in die Regulatorien nach dem derzeit dafür erforderlichen Procedere sehr zeitaufwändig.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Versuche in der Ökotoxikologie sind auf nationaler und internationaler Ebene durch verschiedene Gesetze, Verordnungen und Richtlinien geregelt.

Auf Ebene der Europäische Union regelt die EU-Tierversuchsrichtlinie (2010/63/EU) (4) Tierversuche. Sie setzt den Fokus auf die sogenannten „3R-Prinzipien“ (Replace, Reduce, Refine), die den Ersatz, die Reduzierung und die Verfeinerung von Tierversuchen fördern sollen. Die Richtlinie erfasst jedoch nicht alle Tiere (bspw. Insekten) und nicht alle Lebensstadien von Wirbeltieren (bspw. Eleutheroembryonen von Fischen), und regelt eher die Bedingungen, nach denen Tierversuche genehmigt werden können, als tatsächlich Tierversuche zu verhindern. Von einer Schutzwirkung der Richtlinie für die Tiere kann daher nicht gesprochen werden.

Die REACH-Verordnung (EG Nr. 1907/2006) legt Anforderungen an die Sicherheitsprüfung von Chemikalien fest. Unter REACH müssen für Chemikalien umfassende Daten zu ihrer Toxizität vorgelegt werden, einschließlich der ökotoxikologischen Auswirkungen. Daneben regelt die CLP-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1272/2008), die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen. Sie erfordert die Bewertung von Umweltgefährdungen durch Chemikalien, einschließlich der ökotoxikologischen Auswirkungen. Unternehmen sind verpflichtet, umweltrelevante Daten für die Einstufung von Chemikalien zu liefern, wozu auch Tierversuche durchgeführt werden.

Auch auf nationaler Ebene sind Tierversuche und der Schutz der Umwelt durch eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen geregelt. Das Tierschutzgesetz und die Tierversuchsverordnung („Verordnung zum Schutz von zu Versuchszwecken oder zu anderen wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren“) setzen die EU-Tierversuchsrichtlinie (2010/63/EU) in deutsches Recht um.

Das Chemikaliengesetz (ChemG) dient der Umsetzung der REACH- und CLP-Verordnung in Deutschland und regelt die Prüfung von Chemikalien auf ihre Umweltverträglichkeit. Auch die Verordnung zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (GefStoffV) fordert die Bewertung der Umweltauswirkungen von Chemikalien, die auch ökotoxikologische Tests beinhalten können.

Auch auf internationaler Ebene existieren Regelungen und Abkommen, die die Durchführung von Tierversuchen im Bereich Ökotoxikologie regulieren. Die OECD-Richtlinien für die Prüfung von Chemikalien bieten international standardisierte Testmethoden, die häufig in der Ökotoxikologie angewendet werden. Viele dieser Tests sind Tierversuche; die OECD hat in den letzten Jahren aber auch erste tierversuchsfreie Ansätze entwickelt und aufgenommen.

Die Bewertung von Chemikalien ist somit ein komplexer Prozess, der nicht nur auf wissenschaftlichen Arbeiten beruht, sondern auch eine Vielzahl von rechtlichen Rahmenbedingungen genügen muss. Selbst nach erfolgreicher Entwicklung und Validierung tierversuchsfreier Verfahren, ist ihre Aufnahme in die Regulatorien ein zeitaufwändiger Prozess.

 

Neue Wege zur Implementierung

Die Implementierung tierversuchsfreier Verfahren erfolgt häufig in einem 1:1-Ersatz, das heißt, ein bestehender Tierversuch wird durch eine tierversuchsfreie Methode ersetzt. Das ist natürlich bei der Vielzahl regulatorisch geforderter Tierversuche sehr aufwendig. Hier sollte stattdessen ein generelles Umdenken erfolgen. Ist es tatsächlich notwendig, bestimmte „Endpunkte“ phänomenologisch zu erfassen? Muss man Fischen beispielsweise wirklich beim Sterben zuschauen, um festzustellen, dass eine Substanz toxisch ist? Die zugrundeliegenden molekularen und zellulären Mechanismen könnten mit tierversuchsfreien Verfahren untersucht und vor allem auch verstanden werden. Ein solches umfassendes Verständnis der toxikologischen Mechanismen könnte zu einer evidenzbasierten Entwicklung von Vorhersagemodellen verwendet werden. Hier könnte auch künstliche Intelligenz einen sinnvollen Beitrag leisten.

Schließlich ist es auch an der Zeit, das gesamte System der Sicherheitsbewertung in der Ökotoxikologie auf den Prüfstand zu stellen, statt – weiter im System verfangen – lediglich einzelne Tierversuche zu ersetzen und somit Tierversuche noch immer als den „Goldstandard“ zu akzeptieren. Welche Sicherheit bringt die Untersuchung einzelner Substanzen an einzelnen Tierarten unter völlig unnatürlichen Bedingungen im Labor wirklich für den Schutz der Umwelt? Könnten andere – tierversuchsfreie und auf Hochdurchsatz ausgelegte Methoden – nicht viel realistischere Gefährdungsszenarien bieten, in denen Substanzen, ihre Abbauprodukte und Stoffgemische an In-vitro-Modellen einer Vielzahl von Tieren getestet werden?

Wären mit modernen In-vitro- und In-silico-Verfahren und unter Nutzung künstlicher Intelligenz nicht viel bessere Risiko- und Toxizitätsbewertungen möglich? Vor diesem Hintergrund sollte endlich der Entschluss für einen kompletten Umstieg auf tierversuchsfreie Methoden zur Chemikalienbewertung gefasst werden. Die vorhandenen Ressourcen sollten gebündelt und in die Entwicklung ebensolcher Verfahren und Konzepte investiert werden, anstatt weiterhin nur einzelne Tierversuche zu ersetzen und dabei sogar Versuche mit Wirbellosen oder Embryonen als Ersatz zu akzeptieren, während andererseits sogar noch neue Tierversuche in die Leitlinien aufgenommen werden.

Schließlich sollten auch die Anerkennungsverfahren für tierversuchsfreie Verfahren kritisch hinterfragt werden. Ist es nötig, dass diese Verfahren viele Jahre dauern? Könnten sie effizienter gestaltet werden? Beispielsweise entscheidet die zuständige Arbeitsgruppe der OECD nur einmal jährlich über die Aufnahme neuer Methoden in das Prüfrichtlinien-Programm (19), was schlimmstenfalls ein Jahr bedeutet, in denen ein neues tierversuchsfreies Verfahren nicht weiterverfolgt wird. Hier ist es dringend erforderlich, neue und schlankere Verfahren zur Anerkennung tierversuchsfreier Verfahren zu entwickeln.

Unsere Forderungen und Aktivitäten

Ein tierversuchsfreies Verfahren muss viele Schritte durchlaufen, um als Ersatz für regulatorische Tierversuche anerkannt zu werden, was oft viele Jahre dauert. Einen enormen Aufwand, den ein Großteil der Tierversuchs-Standard-Tests wie der LD50-Test selbst nie durchlaufen mussten – sie wurden einfach in die Regularien aufgenommen. Wir fordern daher eine Beschleunigung des Anerkennungsverfahrens auf allen Ebenen. So sollten die Entwicklung und Validierung tierversuchsfreier Methoden viel stärker gefördert werden. Dazu sind nicht nur finanzielle Mittel notwendig, sondern es sollten auch Förderprogramme aufgelegt werden, in der die Entwicklung und Validierung von Beginn an in enger Kooperation mit Behörden und Industriepartnern erfolgt. So kann die Entwicklung viel zielgerichteter am tatsächlichen Bedarf ausgerichtet und unter Berücksichtigung regulatorischer Vorgaben erfolgen.

Parallel muss das gesamte System der Validierung auf den Prüfstand gestellt werden. Schließlich geht es darum, herauszufinden, ob bestimmte Substanzen unserer Umwelt schaden. Dieses muss nicht zwangsläufig mit einem 1:1-Ersatz einzelner Tierversuche geschehen, sondern es können völlig neue Konzepte, etwa mit künstlicher Intelligenz, entwickelt werden.

Auch sollte der Prozess der Anerkennung neuer Leitlinien beschleunigt werden. Hier bietet die EU-Roadmap zur schrittweisen Abschaffung von Tierversuchen für Stoffsicherheitsbeurteilungen, die derzeit als Reaktion auf die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Save Cruelty Free Cosmetics“ (20) erarbeitet wird, Gelegenheit, entsprechende Änderungen zu entwickeln und umzusetzen. Dem Thema Ökotoxikologie kommt bei der Entwicklung der Roadmap eine besondere Bedeutung zu, sodass ihm eine eigene Arbeitsgruppe (als eine von insgesamt drei Arbeitsgruppen) gewidmet wurde. Einen wichtigen Beitrag dazu leistete auch ein Multi-Stakeholder Roundtable, der von mehreren europäischen Tierschutzorganisationen, unter anderem auch der Eurogroup for Animals und der European Coalition to End Animal Experiments, denen auch Ärzte gegen Tierversuche angehört, organisiert wurde (21).

Wir sehen Deutschland – welches verantwortlich für einen Großteil der in der regulatorischen Ökotoxikologie eingesetzten Tiere ist (siehe Abbildung 1) – in der Pflicht, eine führende Rolle in der Entwicklung tierversuchsfreier Ersatzmethoden einzunehmen. Hierzu bietet sich die von der Ampelkoalition angekündigte Reduktionsstrategie an, welche derzeit unter Federführung des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erarbeitet wird (22).

Dass nicht nur Vertreter von Tierschutzorganisationen den vermehrten Einsatz tierversuchsfreier Verfahren in der Chemikalienprüfung fordern, sondern auch Vertreter aus Industrie und Behörden, wurde auch in dem Projekt „Indikatoren für die EU-Chemikalienpolitik (ModHaz)“ deutlich. ModHaz wurde von mehreren Helmholtz Zentren initiiert und brachte verschiedene Akteure in den Dialog über eine Neuerung der Chemikalienpolitik (23). Neben Vertretern aus Wissenschaft, Industrie und Behörden waren auch Tierschutzorganisationen – darunter Ärzte gegen Tierversuche – an dem Projekt beteiligt. Aus dem von allen Teilnehmern geäußertem Wunsch nach tierversuchsfreien Methoden zur Chemikalientestung könnten Synergien entstehen, die die Entwicklung und Zulassung tierversuchsfreier Methoden – auch aber nicht nur – für die Ökotoxikologie vorantreiben.

Fazit

Der Ersatz von Tierversuchen durch tierversuchsfreie Verfahren in der Ökotoxikologie ist langwierig, aber möglich und dringend notwendig. Er erfordert weitere wissenschaftliche Fortschritte, umfangreiche Validierungsprozesse und vor allem auch Anpassungen bei den Anerkennungsverfahren für tierversuchsfreie Methoden. Eine verstärkte Forschung und Entwicklung in den Bereichen In-vitro- und In-silico-Methoden sowie eine internationale Zusammenarbeit sind entscheidend, um diesen Wandel zu beschleunigen und die langwierigen Prozesse bis zur regulatorischen Akzeptanz tierversuchsfreier Verfahren zu verkürzen.

Im Gegensatz zur Grundlagenforschung, bei der das Thema Ersatz von Tierversuchen ganz erhebliche Gegenwehr der Experimentatoren hervorruft, ziehen beim Ersatz regulatorischer Tierversuche alle relevanten Interessengruppen an einem Strang und vor allem in dieselbe Richtung – hin zu einer tierversuchsfreien Testung. Dies betrifft die Industrie, die auf schnellere und bessere Methoden drängt, die Behörden, die eine effektive Sicherheitsbewertung wünschen, NGOs aus den Bereichen Tier- und Umweltschutz und schließlich auch die Bürger, die mit ihren Stimmen in der EBI die Abschaffung von Tierversuchen gefordert haben.

15.12.2024
Dr. rer. nat. Johanna Walter 

2024 04

Weitere Infos

Tierversuchsfreie Methoden (auch für die Ökotoxikologie): nat-datenbank.de

ÄgT-Journal 04-2024 Schwerpunkt: Übersehene Tierversuche: Ökotoxikologie (PDF

  

Quellen

  1. OECD Guidelines for the Testing of Chemicals, 2019, Test No. 203: Fish, Acute Toxicity Test
  2. OECD Guidelines for the Testing of Chemicals, 2013, Test No. 210: Fish, Early-life Stage Toxicity Test
  3. ALURES – Animal Use Reporting - EU System: EU statistics database on the use of animals for scientific purposes under directive 2010/63/EU
  4. Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere Text von Bedeutung für den EWR
  5. Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 2012, Der Fischembryotest als Alternativmethode für den akuten Fischtest – abschließend notwendige Laboruntersuchungen und Datenanalysen zur Validierung des Fischembryotests für das OECD Prüfrichtlinienprogramm
  6. Strittmatter S. 4 Millionen Tiere als „Überschuss“ in Tierversuchslaboren getötet. ÄgT, 2021
  7. OECD Guidelines for the Testing of Chemicals, 2013, Test No. 236: Fish Embryo Acute Toxicity (FET) Test
  8. OECD Guidelines for the Testing of Chemicals, 2021, Test No. 250: EASZY assay - Detection of Endocrine active substances, acting through estrogen receptors, using transgenic tg(cyp19a1b:GFP) Zebrafish embryos
  9. OECD Guidelines for the Testing of Chemicals, 2019, Test No. 248: Xenopus Eleutheroembryonic Thyroid Assay (XETA)
  10. OECD Guidelines for the Testing of Chemicals, 2018, Test No. 319A: Determination of in vitro intrinsic clearance using cryopreserved rainbow trout hepatocytes (RT-HEP)
  11. OECD Guidelines for the Testing of Chemicals, 2018, Test No. 319B: Determination of in vitro intrinsic clearance using rainbow trout liver S9 sub-cellular fraction (RT-S9)
  12. OECD Guidelines for the Testing of Chemicals, 2021, Test No. 249: Fish Cell Line Acute Toxicity - The RTgill-W1 cell line assay
  13. Stadnicka-Michalak J. et al. Toxicology across scales: Cell population growth in vitro predicts reduced fish growth. Science Advances 2015; 1(7):e1500302
  14. De Souza I.R. et al. Development of 3D cultures of zebrafish liver and embryo cell lines: a comparison of different spheroid formation methods. Ecotoxicology 2021; 30(9):1893–1909
  15. Lammel T. et al. Development of three-dimensional (3D) spheroid cultures of the continuous rainbow trout liver cell line RTL-W1. Ecotoxicology and Environmental Safety 2019; 167:250–258
  16. Drieschner C. et al. Fish-gut-on-chip: development of a microfluidic bioreactor to study the role of the fish intestine in vitro. Lab on a Chip 2019; 19(19):3268–3276
  17. Bunmahotama W. et al. Development of a quasi–quantitative structure–activity relationship model for prediction of the immobilization response of daphnia magna exposed to metal‐based nanomaterials. Environmental Toxicology and Chemistry 2022; 41(6):1439–1450
  18. OECD Series on testing and Assessment Number 34, 18.08.2005
  19. OECD Prüfrichtlinien-Programm, Umweltbundesamt, 15.08.2013
  20. Europäische Bürgerinitiative „Save Cruelty Free Cosmetics“. ÄgT, 24.08.2021
  21. Recommendations from a multi-stakeholder Roundtable to shape the discussion on the EU Roadmap towards phasing out animal testing for chemical safety assessments. 2024; DOI: 10.5281/zenodo.1388925
  22. Tierversuche durch Alternativmethoden nachhaltig reduzieren. Pressemitteilung des BMEL, 09.09.2024
  23. Indikatoren für die EU-Chemikalienpolitik (ModHaz)