Ablehnungsquote von Tierversuchen bundesweit unter 1 Prozent
Alarmierende Erhebung
Anträge zur Durchführung von Tierversuchen werden fast immer genehmigt, die Ablehnungsquote liegt bei unter 1 Prozent. Das ist das Ergebnis einer aktuell in der Fachzeitschrift ALTEX erschienenen Studie des bundesweiten Vereins Ärzte gegen Tierversuche. Der Verein fordert, dass die Behörden viel häufiger den Mut aufbringen, die Genehmigung zu verweigern.
Tierversuche müssen per Gesetz entweder angezeigt oder genehmigt werden. Bei den anzeigepflichtigen Tierversuchen, z. B. Giftigkeitsprüfungen, muss lediglich ein Formular ausgefüllt werden. Tierversuche im Bereich der Grundlagen- und medizinischen Forschung, die den Großteil der Tierversuche ausmachen, müssen durch die zuständige Behörde – meist die Regierungspräsidien – genehmigt werden. Ärzte gegen Tierversuche hat aktuell dazu das Ergebnis einer Erhebung veröffentlicht.
Grundlage sind bei den zuständigen Genehmigungsbehörden erfragte Daten zur Anzahl der Genehmigungen und Ablehnungen von genehmigungspflichtigen Tierversuchen in den Jahren 2015 bis 2017. In die Auswertung eingeflossen sind die Zahlen aus 13 Bundesländern. Nur aus Hamburg, Niedersachsen und Sachsen sowie Bayern (außer Oberbayern) ließen sich keine Angaben ermitteln. Die Anzahl der Anträge lag bundesweit pro Jahr zwischen ca. 2.000 und 2.500. In Bremen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein wurde in den drei Jahren kein einziger Tierversuch abgelehnt, in Nordrhein-Westfalen war es gerade mal einer von über 1.000 Anträgen in den Jahren 2015 und 2016. In Baden-Württemberg und Berlin lag die Zahl knapp über 1 Prozent. In Thüringen wurden 2016 immerhin 9 von 121 Anträgen abgelehnt (7,4 Prozent).
„Das deutsche Tierschutzrecht erlaubt den Behörden lediglich zu prüfen, ob der Experimentator sein Versuchsvorhaben wissenschaftlich begründet hat“, erläutert Dr. med. vet. Corina Gericke. Das widerspricht EU-Recht, demzufolge die Behörde eine Abwägung zwischen dem Leid der Tiere auf der einen Seite und dem postulierten ‚Nutzen‘ auf der anderen Seite vornehmen soll. „Durch eine solche Abwägung würden zumindest besonders qualvolle und abstruse Versuchsanordnungen aussortiert werden können, etwa Magersucht-Versuche bei Ratten in Aachen oder Erstickungsversuche an Nacktmullen in Berlin“, ist sich Gericke sicher.
Im Juni hatte das Regierungspräsidium Gießen einen Versuchsantrag der Uni Marburg abgelehnt, bei dem im Rahmen der Raumfahrtforschung herausgefunden werden sollte, warum Zwerghamster im Winterschlaf an Gewicht verlieren. Die Uni ging gerichtlich gegen die behördliche Entscheidung vor. Solche Ablehnungen sind so selten, dass sie Schlagzeilen machen. „Behörden sollten viel häufiger den Mut haben, Versuchsanträge abzulehnen, selbst wenn dies dann vor Gericht landen kann“, fordert Tierärztin Gericke. „Außerdem muss die deutsche Gesetzgebung zumindest EU-Recht angeglichen werden. Eine Ablehnungsquote von unter 1 oder sogar 0 Prozent ist jedenfalls ein Armutszeugnis!“ Dass das deutsche Tierversuchsrecht in vielen Punkten den EU-Vorgaben widerspricht, ist Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland und wird zudem durch verschiedene Rechtsgutachten bestätigt.