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Wissenschaftler erhoffen sich Erkenntnisse zur Evolution des menschlichen Gehirns

Die Evolution des menschlichen Gehirns ist eines der ungelösten Rätsel der Neurowissenschaften. Da Fossilien hierüber keine Auskunft geben können, versuchen Forscher über die Untersuchung und den Vergleich der Gehirne von Menschen und Affen zu rekonstruieren, wie das Gehirn der gemeinsamen Vorfahren aussah. Für solche Untersuchungen wurden bisher Versuche an lebenden Tieren, bspw. Rhesusaffen, durchgeführt. Nun veröffentlichten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts (MPI) einen detaillierten Atlas des Gehirns unserer nächsten lebenden Verwandten – ohne ein Tier extra für diesen Zweck zu töten (1).

Bisher lagen neben Daten anderer – stammesgeschichtlich weiter von uns entfernten Affen – nur ältere Aufnahmen von Schimpansen-Gehirnen vor, die aber nur über eine begrenzte Auflösung verfügten. Neuere Aufnahmen unter Verwendung verbesserter Technik waren nicht möglich, da Tierversuche an Schimpansen weltweit geächtet – wenn auch in Ausnahmefällen in einigen Ländern, so auch in Deutschland, leider gesetzlich noch erlaubt – sind. Das dem Atlas zugrunde liegende Gehirn stammt daher von einer 47-jährigen Schimpansin, die aufgrund einer unbehandelbaren Erkrankung eingeschläfert wurde (2). So konnte gezeigt werden, dass sich auch ohne ein Tier nur für Forschungszwecke zu töten, aufschlussreiche Erkenntnisse gewinnen lassen.

Erstellt wurde der Atlas mit hochaufgelöster Magnetresonanztomographie, mit der das Schimpansen-Gehirn tagelang gescannt wurde. In bisher unerreichter Auflösung zeigt das aus den Aufnahmen rekonstruierte Gehirnmodell, wie verschiedene Gehirnareale des Schimpansen miteinander vernetzt sind. Der Vergleich des Gehirns der Schimpansin mit dem des Menschen soll Rückschlüsse über gemeinsame Vorfahren ermöglichen, die vor ca. 7 Millionen Jahren lebten. So soll untersucht werden, wie sich komplexe Hirnfunktionen wie bspw. die Sprache entwickelt haben.

Die Wissenschaftler kündigen zudem an, nicht nur das Gehirn von Mensch und Affe miteinander vergleichen zu wollen, sondern auch die Gehirne von Affen, die verschiedene Erfahrungen gemacht haben und verschiedene Fähigkeiten erworben haben. So ist es beispielsweise denkbar, das Gehirn von Affen, die den Gebrauch von Werkzeugen gelernt haben mit dem von Artgenossen zu vergleichen, die keine Werkzeuge verwenden. Daraus könnten Erkenntnisse gewonnen werden, wie sich die Vernetzungen im Gehirn durch individuelle Erfahrungen ändern. Auch dafür sollen ausschließlich die Gehirne von bereits verstorbenen Tieren genutzt werden. Der Atlas des Schimpansen-Gehirns ist öffentlich verfügbar und kann so auch von anderen Wissenschaftlern genutzt werden (3).

Auch ein Atlas des menschlichen Gehirns wurde bereits unter Verwendung hochauflösender bildgebender Verfahren erstellt (4). Im Gegensatz zur Forschung an Affengehirnen ermöglichen solche humanen Daten ein besseres Verständnis des menschlichen Gehirns und seiner Erkrankungen, was mit Affenhirnforschung aufgrund der Unterschiede in Struktur und Funktion des Gehirns nicht möglich ist (5). Sollen dennoch Untersuchungen am Gehirn von Affen durchgeführt werden, so bietet die Verwendung verstorbener Tiere eine ethisch vertretbarere Möglichkeit, die gewünschten Informationen zu erhalten. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft auch anderen Arten, deren Einsatz in Tierversuchen im Gegensatz zu Menschenaffen weniger stark reglementiert ist, der Einsatz in der Hirnforschung erspart bleibt.