Koalitionsvertrag: falscher Ansatz, falsches Signal
Ein Kommentar zum Thema Tierversuche
Die Ampel-Koalition hat Ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Nach vielversprechenden Inhalten der Parteiprogramme von Grünen und SPD enttäuscht nun die Passage zum Thema Tierversuche: von einem Ausstieg ist nicht mehr die Rede, lediglich von Reduktion. Das ist weder neu, noch funktioniert es.
Zumindest beim Thema Tierversuche ist echtes Engagement nicht zu spüren: „Wir legen eine Reduktionsstrategie zu Tierversuchen vor. Wir verstärken die Forschung zu Alternativen, ihre Umsetzung in die Praxis und etablieren ein ressortübergreifendes Kompetenznetzwerk.“ Lediglich diese zwei trivialen Sätze auf Seite 44 des gestern vorgelegten Koalitionsvertrags von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP finden sich in dem insgesamt 178 Seiten starken Manuskript.
Noch vor ein paar Wochen stellte sich dies anders dar, denn ein Ausstiegskonzept war sehr wohl in den Wahlprogrammen u.a. der SPD und den Grünen zu finden. So wollte die SPD eine Gesamtplanung für den „perspektivischen Ausstieg aus dem Tierversuch“ aufsetzen und die Grünen sprachen davon, Tierversuche schnellstmöglich ersetzen zu wollen mit einer „klaren Ausstiegsstrategie und innovativen Forschungsmethoden“. Ein Erfolg für die intensive Arbeit, die ÄgT mit anderen Vereinen zusammen geleistet hat. Nun die Ernüchterung, dass lediglich von der üblichen und als selbstverständlich zu erachtenden Reduktion die Rede ist – und das, obwohl die schon alte Bundesregierung seit Jahren immer beteuerte, dass bereits alles zur Reduktion von Tierversuchen unternommen wird.
Die auf gleichbleibend hohem Niveau stagnierenden Tierversuchszahlen zeigen aber, dass diese Strategie definitiv nicht funktioniert. Das sieht auch das EU-Parlament so, welches im September 2021 mit satten 97% der Stimmen von insgesamt 687 Abgeordneten für einen konkreten Ausstiegsplan stimmte, der die Europäische Kommission auffordert, einen solchen zu erarbeiten. Ein klares Signal, dass es einen Paradigmenwechsel braucht. Dies scheint an den in der Außendarstellung so innovationsfreudigen und zukunftsorientierten Ampelkoalitionären vorbeigegangen zu sein.
Ende 2020 gab der Bund bekannt, eine nationale „Kompetenzplattform zu Alternativen zum Tierversuch“ zu implementieren und im ersten Schritt mit 3 Millionen Euro zu fördern – eine sehr begrüßenswerte, aber auch überfällige Entwicklung, die immerhin in die richtige Richtung geht. ÄgT hatte die Notwendigkeit einer derartigen Plattform längst erkannt: bereits Mitte 2020 wurde die weltweit öffentlich zugängliche zweisprachige Datenbank für tierversuchsfreie Forschungsmethoden, die NAT-Database, in Eigenregie gelauncht. Die aktuell weit über 1.000 Einträge zeigen bereits die Vielfalt und Leistungsfähigkeit dieser innovativen Technologien, die nun aber auch mit der nötigen Konsequenz genutzt und weiterentwickelt werden müssen.
Wenn die neue Regierung ihrem Untertitel des Wahlprogramms „Mehr Fortschritt wagen“ wirklich gerecht werden will, ist ein konkretes Ausstiegskonzept unumgänglich. Selbst die FDP könnte, obwohl sie in ihrem Wahlprogramm Tierversuche nicht erwähnt, über das Forschungsministerium hier mit im Boot sitzen: Die FDP bezeichnet sich selbst als Innovationspartei – wie, wenn nicht mit humanbasierter, moderner Forschung mittels 3D-gedruckten Geweben, personalisierten Mini-Organen und Multi-Organ-Chips, soll innovative, zukunftsfähige Wissenschaft und Forschung aussehen?
Dipl. Biol. Julia Radzwill
Weitere Infos
Pressemitteilung „Bund fördert nationale Plattform für Tierversuchsersatzmethoden mit 3 Millionen Euro“, Svenja Stadler (MdB), 27. November 2020