Mainz: Mäuse 11 Wochen Dauerstress ausgesetzt!
…um Depressionen auszulösen
Am Institut für Physiologische Chemie der Universitätsmedizin Mainz werden Mäuse 11 Wochen lang in einen Zustand ständiger Angst und Schmerzen versetzt, um eine Depression zu simulieren und die Veränderungen im Gehirn zu untersuchen. Nach Aussage des bundesweiten Vereins Ärzte gegen Tierversuche sieht die EU-Tierversuchsrichtlinie ein Verbot solch besonders leidvoller Tierversuche vor. Die Bundesregierung hat jedoch die von der EU vorgesehene Schmerz-Leidens-Obergrenze nicht umgesetzt.
Über 11 Wochen werden Mäuse Stressversuchen ausgesetzt. Der Käfig mit den Tieren wird stundenlang geschüttelt, gekippt oder mit Wasser gefüllt, die Mäuse werden in eine enge Röhre gesteckt, mit lauten Geräuschen beschallt, der Licht-Dunkel-Zyklus wird umgekehrt und die Tiere werden mit einer aggressiven Maus zusammengebracht. Jeden Tag werden 2-3 dieser und anderer Stressoren in zufälliger Reihenfolge angewendet. Zudem wird den Tieren eine Substanz in einen Hinterbeinmuskel gespritzt, was zu starken, lang anhaltenden Schmerzen führt. Dann wird der forcierte Schwimmtest durchgeführt, bei dem eine Maus in einem wassergefüllten Behälter schwimmen muss. Je eher die Maus aufgibt und nicht mehr schwimmt, desto größer soll die Depression sein. Schließlich werden die Tiere getötet, um das Gehirn zu untersuchen. Ergebnis: chronisch gestresste Mäuse haben eher Angst und Depressionen und reagieren empfindlicher auf starke Schmerzen.
„Tierexperimentatoren verbreiten regelmäßig die Fake-News, Tieren im Labor würde es besser als Haustieren gehen. Tatsächlich ist das Leid der jährlich in Deutschland rund 2,8 Millionen Mäuse, Ratten, Kaninchen und anderer Tiere im Labor immens“, erklärt Dr. med. vet. Corina Gericke, Vizevorsitzende von Ärzte gegen Tierversuche. Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums zufolge fielen im letzten Jahr etwa 4 Prozent (112.000 Tiere) unter den Schweregrad „schwer“, wobei die Einteilung in Schweregrade von den Experimentatoren selbst vorgenommen wird. Der Ärzteverein betreibt seit drei Jahrzehnten eine öffentlich zugängliche Internet-Datenbank, in der über 4.600 in Deutschland durchgeführte Tierversuche dokumentiert sind. „Diese zufälligen Stichproben aus Fachartikeln zeigen das wahre Gesicht des Tierversuchs“, so Gericke. Neben den ethischen Gründen führt der Verein die fehlende Übertragbarkeit von Tierversuchsergebnissen an. „Was haben diese chronisch gestressten Mäuse mit der komplexen Depression des Menschen zu tun?“, fragt Gericke.
Die EU fordert in ihrer 2010 verabschiedeten Richtlinie 2010/63/EU, eine Schmerz-Leidens-Obergrenze einzuführen, ab der ein Tierversuch unter keinen Umständen durchgeführt werden sollte. Deutschland hat jedoch der Forschungsfreiheit Vorrang eingeräumt und ein juristisches Schlupfloch genutzt, um dieses Verbot zu umgehen und so auch besonders qualvolle Tierversuche zuzulassen.
Die Ärzte gegen Tierversuche haben eine Bundestagspetition gestartet, um ihre Minimalforderung eines gesetzlichen Verbots der allerschlimmsten Experimente zu erreichen. Wenn bis zum 11. April 50.000 Unterschriften zusammenkommen, kann der Verein sein Anliegen in einer öffentlichen Anhörung im Bundestags-Petitionsausschuss vortragen.
Quellen für den genannten TierversuchErmelinda Lomazzo et al.: Chronic stress leads to epigenetic dysregulation in the neuropeptide-Y and cannabinoid CB1 receptor genes in the mouse cingulate cortex: Neuropharmacology 2016: 113; 301-313
Ermelinda Lomazzo et al.: Therapeutic potential of inhibitors of endocannabinoid degradation for the treatment of stress-related hyperalgesia in an animal model of chronic pain. Neuropsychopharmakologie 2015: 40, 488-501
Weitere Infos
Kampagne „Schwimmen bis zur Verzweiflung“ >>
Ausführliche Beschreibung des o.g. Versuchs aus www.datenbank-tierversuche.de
Titel: Chronic stress leads to epigenetic dysregulation in the neuropeptide-Y and cannabinoid CB1 receptor genes in the mouse cingulate cortexÜbersetzter Titel: Chronischer Stress führt zu epigenetischer Dysregulation in den Neuropeptid-Y- und Cannabinoid-CB1-Rezeptor-Genen des cingulierten Kortex der Maus)Zeitschrift: Neuropharmacology 2016: 113; 301-313Autoren: Ermelinda Lomazzo, Florian König, Leila Abassi, Ruth Jelinek, Beat Lutz*Institut: Institut für Physiologische Chemie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Duesbergweg 6, 55128 MainzTiere: Ca. 96 MäuseVersuch: Die Versuche werden vom Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz genehmigt. Die Herkunft der CB57BL/dJ-Mäuse wird nicht erwähnt. Die Tiere werden über 11 Wochen einem sogenannten CUS (chronic unpredictable stress) Protokoll ausgesetzt. Für Details wird auf eine ältere Studie derselben Autoren verwiesen:1. Maus allein im Käfig für 2-4 Stunden oder über Nacht
2. Platznot (6 Mäuse pro Käfig)
3. Für 2-3 Stunden in eine enge Plastikröhre gesteckt
4. Leerer Käfig ohne Einstreu
5. Käfig wird auf 2 cm Höhe mit Wasser gefüllt
6. Schmutziger Käfig
7. Licht über Nacht
8. Umgekehrter Licht-Dunkel-Zyklus
9. Nahrungs- und Wasserentzug
10. Käfig wird um 30° gekippt (2-3h)
11. Käfig wird 1-2 Stunden lang geschüttelt
12. Lautes Geräusch (100 dB) für 5-10 Minuten
13. Eine Maus wird mit einer aggressiven Maus konfrontiertJeden Tag werden 2-3 dieser Stressoren in zufälliger Reihenfolge über einen Zeitraum von 11 Wochen angewendet. In diesem Zeitraum bekommen die Tiere dreimal den Nervenwachstumsfaktor NGF in einen Hinterbeinmuskel gespritzt, was zu starken, lang anhaltenden Schmerzen führt. Ab Woche 5 des CUS wird bei der Hälfte der Tiere täglich ein potentiell Angst lindernder Wirkstoff in die Bauchhohle gespritzt.Bei allen Mäusen werden drei Tests zum Angst- und Depressionsverhalten durchgeführt, zu welchem Zeitpunkt genau, wird nicht erwähnt. Beim Elevated Plus Maze Test wird eine Maus in ein erhöhtes Plus-förmiges Labyrinth mit zwei offenen und zwei geschlossenen Armen gesetzt. Mäuse, die sich eher in den geschützten, geschlossenen Bereichen aufhalten, gelten als ängstlich. Im Hell-Dunkel-Test kann sich die Maus zwischen einer schützenden dunklen und einer Angst einflößenden hellen Kammer einer Box entscheiden. Beim forcierten Schwimmtest wird eine Maus an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in einen wassergefüllten Behälter gesetzt. Es wird am zweiten Tag die Zeit gemessen, die die Maus bewegungslos im Wasser treibt. Je eher die Maus aufgibt und nicht schwimmt, desto größer soll die Depression sein. Schließlich werden die Tiere unter Betäubung durch Enthauptung getötet, das Gehirn wird entnommen und untersucht.Diese Arbeit wurde vom BMBF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt.
Forschungsbereiche: Stressforschung, Neuropsychopharmakologie, NeuropharmakologieHintergrund: Mäuse werden 11 Wochen lang in einen Zustand ständiger Angst und Schmerzen versetzt, um die Veränderungen im Gehirn zu untersuchen.Ergebnis: chronisch gestresste Mäuse haben eher Angst und Depressionen und reagieren empfindlicher auf starke Schmerzen.