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Kaum hilfreich, aber schwere Nebenwirkungen

In den USA wurde kürzlich der Wirkstoff Lecanemab zur Behandlung von Alzheimer in einem beschleunigten Verfahren zugelassen. Dies weckt in vielen Betroffenen und ihren Angehörigen neue Hoffnung. Doch der Antiköper steht in der Kritik, denn neben einer eher ernüchternden Wirksamkeit von Lecanemab, dessen tatsächlicher Nutzen für den Patienten weitgehend unklar ist, gibt es Hinweise auf schwere Nebenwirkungen und Todesfälle. Es würde nicht verwundern, wenn Lecanumab ein weiterer Fehlschlag in der langen Reihe der Alzheimer-Medikamente wird, die die tierexperimentelle Forschung bereits hervorgebracht hat.

Lecanemab ist ein von den Firmen Eisai und Biogen entwickelter Antikörper, der Alzheimer-Patienten in den frühen Stadien der Erkrankung helfen soll. Sein Wirkmechanismus beruht auf der Annahme, dass die Erkrankung auf die Bildung von Ablagerungen des Proteins Amyloid im Gehirn der Patienten, den sogenannten Plaques, zurückzuführen ist. Lecanemab bindet an bestimmte lösliche Formen des Proteins und soll somit die Bildung der Plaques verhindern.

Die beschleunigte Zulassung von Lecanemab

Lecanemab wurde von der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA in einem beschleunigten Verfahren zugelassen. Dies erfolgte vor dem Abschluss der Klinischen Phase III, in welcher neue Wirkstoffe üblicherweise erstmals an größeren Gruppen von Patienten getestet werden. Oft fehlen zu diesem Zeitpunkt jedoch noch belastbare Daten über die Wirksamkeit. Pharmafirmen nutzen diesen Zulassungsweg immer öfter, da dadurch neue Medikamente früher auf den Markt kommen. (1) Zudem besteht die Chance, dass ein Wirkstoff, nachdem er beschleunigt zugelassen wurde, auch längerfristig auf dem Markt verbleibt, sogar dann, wenn die Hersteller keine Daten zum Nachweis der Wirksamkeit nachreichen. (2) Somit kann das beschleunigte Zulassungsverfahren auch ein Schlupfloch sein, durch das Medikamente auf den Markt kommen, die es niemals durch das reguläre Zulassungsverfahren geschafft hätten. Derzeit streben die Hersteller von Lecanemab die reguläre Zulassung des Wirkstoffs an, wofür die Ergebnisse der klinischen Phase III nun bei der FDA eingereicht wurden.

Der Nutzen für die Patienten

In den USA können Ärzte Lecanemab nun verschreiben. Allerdings werden sich viele Patienten die Therapie nicht leisten können, die pro Jahr etwa $26.500 (derzeit etwa 24.600 €) kosten wird. Die Kosten werden durch die öffentliche Krankenversicherung Medicare nicht erstattet. Ursächlich dafür sind Zweifel an der Wirksamkeit, da ein weiterer nach demselben Mechanismus wirkender Antikörper in Studien nicht überzeugen konnte. (3)

Wie gut ist Lecanemab?

Patienten, die in der Phase-III-Studie den Wirkstoff erhalten haben, weisen nach 18 Monaten gemessen am CDR-Score (Clinical Dementia Rating-Score), welcher die Symptomschwere abschätzt, denselben Zustand auf, den Patienten, die das Placebo erhalten haben, nach 12 Monaten erreichen. (4)

Zu beurteilen, was eine solche Abbremsung des Fortschreitens der Symptome um ca. 6 Monate für die Patienten und ihre Angehörigen bedeutet, steht uns nicht zu. Allerdings sollten neben dem möglichen Gewinn an Lebensqualität auch die Risiken der Behandlung berücksichtigt werden.

Nebenwirkungen von Lecanemab

Die Einnahme von Lecanemab verursachte zum Teil schwere Nebenwirkungen, sodass 6,9 % der Patienten die Behandlung abbrechen mussten. Am häufigsten wurden Infusions-bedingte Reaktionen beobachtet, bei 17% der Patienten gab es Hinweise auf Mikro- oder Makro-Blutungen im Gehirn. (4) Drei Patienten starben in Zusammenhang mit der Verabreichung des Wirkstoffs an Gehirnblutungen und Krämpfen. (5) Diese Nebenwirkungen und Todesfälle wiegen umso schwerer, als Lecanemab nur bei Patienten in frühen Stadien der Erkrankung eingesetzt wird. Ob es vertretbar ist, Patienten, die lediglich unter leichten Symptomen leiden und noch ein nahezu normales Leben führen können, solchen Risiken auszusetzen um den Fortschritt der Symptome um wenige Monate zu verzögern, erscheint fraglich.

Die Alzheimerforschung in der Sackgasse

Die Alzheimer-Erkrankung ist ein Paradebeispiel für die Erfolglosigkeit der tierexperimentell ausgerichteten Forschung. (6) Seit Jahrzehnten wird an Tieren geforscht, die natürlicherweise überhaupt nicht an Alzheimer erkranken können. Dafür werden bei Tieren einzelne Aspekte der Alzheimererkrankung nachgebildet. Im Fokus stehen dabei vor allem die Amyloid-Plaques, welche bei Tieren gentechnisch hervorgerufen werden müssen. Diese künstlich hervorgerufenen Plaques entsprechen jedoch nicht der komplexen Alzheimer Erkrankung. Und die Verwendung junger Tiere, welche die Plaques in kürzester Zeit ausbilden, spiegelt in keiner Weise die langsame Entwicklung der Erkrankung bei menschlichen Patienten wider.

Zudem wurden die der Alzheimer-Erkrankung zugrundeliegenden Mechanismen noch immer nicht verstanden. So beginnt auch die Veröffentlichung der Phase-III-Studie für Lecanemab mit dem denkwürdigen Satz „Die Akkumulation von löslichem und unlöslichem aggregiertem Amyloid … [also die Bildung von Plaques], könnte krankhafte Prozesse der Alzheimer Erkrankung auslösen oder verstärken“. (4) Während sich die Forscher seit Jahrzehnten darum bemühen, Amyloid-Plaques im Gehirn sogenannter Versuchstiere aufzulösen, deuten neuere Erkenntnisse darauf hin, dass gar nicht die Bildung der Plaques das Problem darstellen könnte, sondern ein Mangel an löslichem Amyloid. So wurde kürzlich in einer Studie mit 109 Patienten gezeigt, dass Menschen mit einer hohen Konzentration des löslichen Proteins trotz vorhandener Plaques einen wesentlich milderen Krankheitsverlauf aufweisen. (7)

Es ist Zeit, dass sich die Forschenden endlich eingestehen, dass sie am falschen Organismus (dem Tier), an einer mangelhaften Nachbildung der Erkrankung (einzelnen Symptomen) und dann möglicherweise sogar noch an ganz falschen Ansatzpunkten (den Amyloid-Plaques) forschen. Wie viel größer wären die Aussichten auf einen echten Durchbruch in der Alzheimer-Therapie, wenn human-relevante Methoden eingesetzt werden würden?

Fazit

Mit Lecanemab hat die tierexperimentelle Forschung erneut ein Medikament hervorgebracht, welches Alzheimer-Erkrankten und ihren Angehörigen Hoffnung macht. Angesichts der eher bescheidenen Resultate der Phase-III-Studie ist der Fortschritt in der Alzheimer-Behandlung wieder einmal fraglich.

Dr. Johanna Walter

Quellen

(1) Kozlov M.: Will the FDA change how it vets drugs following the Alzheimer's debacle? Nature 2022, 605(7911): 600-601 

(2) Kaltenboeck A. et al.: White Paper: Strengthening the accelerated approval pathway: An analysis of potential policy reforms and their impact on uncertainty, access, innovation, and costs, 2021

(3) Park A.: Why it’s hard to get the new Alzheimer’s drug lecanemab. Time, 09.01.2023 

(4) van Dyck C.H. et al.: Lecanemab in early Alzheimer’s disease. The New England Journal of Mmedicine 2023, 388(1): 9-21 

(5) Reardon S.: FDA approves Alzheimer’s drug lecanemab amid safety concerns. Nature 2023, 613: 227-228 

(6) Zietek T: Alzheimer: Gescheiterte Tierversuche und zukunftsweisende Technologien, Ärzte gegen Tierversuche 2019 

(7) Sturchio A. et al.: High soluble amyloid-42 predicts normal cognition in amyloid-positive individuals with Alzheimer’s disease-causing mutations. Journal of Alzheimer’s Disease 2022, 90(1) 333–348 Foto: rawpicel.com auf Freepik