Offener Brief an Cem Özdemir
- Pressemitteilung
Gemeinsame Presseerklärung
Ärzte gegen Tierversuche e.V.
Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V.
Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Tierschutzbündnis fordert Korrektur des Tierversuchsrechts
Die Bundesregierung will in diesem Jahr das Tierschutzgesetz überarbeiten. Ein Bündnis aus 14 Tierschutz- und Tierrechtsvereinen fordert Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, diese Gelegenheit zu nutzen, um die eklatanten gesetzlichen Defizite im deutschen Tierversuchsrecht zu beheben. Die aktuelle Rechtslage erlaubt noch immer schwerbelastende Tierversuche und schwächt die Genehmigungsbehörden.
Die EU-Kommission leitete 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein, weil es die EU-Tierversuchsrichtlinie nicht korrekt umgesetzt hatte. Die Rüge der EU umfasste 25 Punkte, die fast alle zu Lasten des Tierschutzes gingen. Nachdem Deutschland unter dem Druck der EU 2022 das Tierschutzgesetz und die zugehörige Verordnung nachbesserte, stellte die Kommission das Verfahren zwar ein, es bestehen jedoch weiterhin gravierende Mängel, insbesondere beim sensiblen Genehmigungsprozess für Tierversuche.
Die Bundesregierung will in diesem Jahr das Tierschutzgesetz überarbeiten. Diese Gelegenheit muss genutzt werden: Die unterzeichnenden Tierschutzorganisationen fordern den zuständigen Minister Cem Özdemir auf, die marginalen Änderungen und inakzeptablen Fehler der ehemaligen Bundesministerin Klöckner und der Vorgängerregierung zu korrigieren, indem die eklatanten Defizite zeitnah durch entsprechende Änderungen im Tierschutzgesetz und in der Tierschutzversuchstierverordnung behoben werden.
Die gravierenden Defizite, die durch ein juristisches Gutachten des Tierschutzrechtsexperten Dr. Christoph Maisack belegt werden, betreffen insbesondere die Prüfkompetenz der Genehmigungsbehörden. Die EU fordert, dass die Behörden eine „vollumfänglich selbständige Beurteilung“ von Tierversuchsanträgen haben. Tatsächlich ist diese Prüfkompetenz jedoch weiterhin auf eine Plausibilitätskontrolle reduziert, d.h., die Behörde muss den Versuch genehmigen, wenn alle Formalien erfüllt sind. Ein großer Teil der Projektbeurteilung liegt also in den Händen des Antragstellers. Dies führt dazu, dass im Schnitt 99 Prozent aller Tierversuchsanträge genehmigt werden (1).
Ein weiteres Beispiel sind die fehlenden Anforderungen an den Antragsteller. Dieser müsste nach dem Willen der EU ausführlich begründen, warum ein Tierversuch unerlässlich ist. Diese Informationen zur Belastung der Tiere und dem erwarteten Nutzen des Versuchs braucht die Behörde, um überhaupt eine fundierte Schaden-Nutzen-Abwägung vornehmen zu können. Diese wichtigen Voraussetzungen für die Arbeit der Genehmigungsbehörden fehlen jedoch im deutschen Gesetz.
Darüber hinaus ist in Deutschland die Genehmigung besonders leidvoller Tierversuche immer noch ohne Einschränkung möglich, obwohl die EU eine Schmerz-Leidens-Obergrenze vorschreibt, ab der ein Tierversuch grundsätzlich nicht mehr durchgeführt werden sollte. Sogar schwerst belastende Tierversuche dürfen in Deutschland begonnen werden, ohne dass die EU von dem ihr zustehenden Vetorecht Gebrauch machen kann.
Ein pathologischer Bericht, von dem die Organisation Ärzte gegen Tierversuche 2022 Kenntnis erlangte, belegte, dass Affen, an denen am Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen (MPI) Hirnversuche durchgeführt wurden, schwerstes Leid zugefügt wurde (2). „Das mangelhafte deutsche Tierschutzrecht ist ein Hauptgrund dafür, dass Tierschutzskandale, wie diese Affenversuche in Tübingen, möglich waren und sind! Es ist unerträglich, dass diese grausamen und sinnlosen Versuche als ‚allenfalls mäßig belastend‘ eingestuft und genehmigt werden“, kritisiert Dr. med. vet. Corina Gericke, Vizevorsitzende von Ärzte gegen Tierversuche.
„Das aktuelle Tierschutzgesetz und die Verordnung schwächen weiterhin die Genehmigungsbehörden, statt ihnen, wie von der EU vorgesehen, den Rücken für ihre sehr schwierige und belastende Arbeit zu stärken. Die Mindestanforderungen der EU-Tierversuchsrichtlinie müssen vollständig und korrekt in Deutschland umgesetzt werden. Das gebietet nicht nur das Staatsziel Tierschutz, das brauchen auch die Genehmigungsbehörden, um Tierversuchsanträge selbständig und rechtssicher prüfen zu können“, fordert Dr. iur. Barbara Felde, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht.
„Wir fordern, dass Deutschland die Spielräume der EU-Vorgaben zugunsten des Tierschutzes nutzt, statt wie bisher dagegen. Außerdem brauchen wir – über den im Koalitionsvertrag angekündigten Reduktionsplan hinaus – einen konkreten und umfassenden Plan zum Ausstieg aus dem Tierversuch. Dies fordern auch 97 % des EU-Parlaments und über 1,2 Mio. EU-Bürger“, sagt Christina Ledermann, Vorsitzende von Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner.
Am 26. Januar wurde offiziell bestätigt, dass die Europäische Bürgerinitiative „Save Cruelty Free Cosmetics – Für ein Europa ohne Tierversuche“ über 1,2 Millionen Unterschriften erreicht hat. Das EU-Parlament hatte sich schon 2021 mit 97 Prozent Zustimmung für einen Ausstiegsplan aus dem Tierversuch ausgesprochen.
Anlage 1: Maisack, C: Stellungnahme zum Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gg. Deutschland wg. fehlerhafter Umsetzung der EU-Tierversuchsrichtlinie (Richtlinie 2010/63/EU), 22.11.2022 (PDF)
Anlage 3: Strittmatter, S: Stellungnahme zur Genehmigungsfähigkeit der Hirnforschung an nicht-menschlichen Primaten – herausgegriffene Aspekte mit Fokus auf Bremen, 10.11.2022 (PDF).
(2) Strittmatter S: neue Beweise: So leiden Affen in Deutschland in der Hirnforschung, 29.09.2022 >>