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Die Berliner Umweltbehörde verweigerte der Biologin Dr. Daniela Vallentin vom Institut für Biologie der Freien Universität Berlin den Fang von freilebenden Nachtigallen. Den Vögeln sollten Elektroden in das Gehirn eingeführt werden, um Hirnströme zu messen. Die Erkenntnisse sollten autistischen Kindern helfen, so die Begründung. Ärzte gegen Tierversuche lehnt das Versuchsvorhaben aus ethischen und wissenschaftlichen Gründen ab und unterstützt die Ablehnung des Genehmigungsantrags ausdrücklich. 

Hintergrund – Vorgänge der Ablehnung

Die Biologin Dr. Daniela Vallentin vom Institut für Biologie der Freien Universität Berlin hat die Genehmigung für ein Tierversuchsvorhaben mit 50 Nachtigallen, die als Küken aus der freien Wildbahn entnommen werden sollten, beim zuständigen Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) beantragt. Der genaue Antragstext ist wie immer in diesen Fällen nicht öffentlich. Das Lageso hat den Tierversuch mit Auflagen am 25.07.2017 genehmigt. Die Auflagen besagen, dass einerseits nur 35 Tiere in dem Tierversuch verwendet werden dürfen und dass andererseits auf Zuchtvögel zurückzugreifen sei.(1) Eine „Entnahme“ von Wildtieren war nicht Teil des genehmigten Versuchs.

Am 26.07.2017 hat Vallentin bei der Berliner Umweltverwaltung trotzdem beantragt, die 50 Nachtigallen aus der freien Wildbahn (Berliner Parks und Wäldern) zu fangen. Versuche mit Tieren aus der freien Natur unterliegen besonderen artenschutzrechtlichen Regeln. So muss in diesem Fall geprüft werden, ob die Versuche alternativ mit zugekauften Zuchtvögeln durchgeführt werden können. Hierzu hat sich die Forscherin in ihrem ursprünglichen Antrag nicht geäußert. Die Umweltverwaltung setzte der Antragstellerin eine Frist zur Abklärung dieser Frage, die sie ungenutzt verstreichen ließ.

Weiterhin wurde, wie in solchen Fällen vorgeschrieben, eine Stellungnahme der Naturschutzverbände eingeholt. Die Stellungnahme der Naturschutzverbände arbeitet diverse Ungereimtheiten in dem Antrag heraus und empfiehlt die Ablehnung des Antrages.(2) Die Naturschutzverbände bemängeln so gut wie alles an dem Antrag: Fang der Tiere, mögliche Haltung der Tiere, Begründung für den Tierversuch, den wissenschaftlichen Gehalt des Tierversuchs, dessen Alternativlosigkeit und den widersprüchlichen Ausgang des Versuches. Die Forscherin will nämlich offenbar einerseits in Gefangenschaft geborene Nachtigallen wieder auswildern, andererseits Nachtigallen töten, um ihnen Leid zu ersparen. Das ist insofern bemerkenswert, als sie vorher großen Wert darauf gelegt hat, dass das Einführen von Elektroden ins Gehirn der Tiere nicht mit Schmerzen verbunden sei.

Wichtig ist, dass der Fang von Wildtieren nur dann überhaupt hätte genehmigt werden können, wenn der zugrundeliegende Tierversuch mit Wildtieren vom Berliner Lageso genehmigt wurde. Genau das war aber nicht der Fall, da der Tierversuch nur mit der Auflage genehmigt wurde, weniger Tiere und eben Zuchtvögel zu verwenden.

Daraufhin hat die Berliner Umweltverwaltung den Antrag der Forscherin auf Entnahme von Wildtieren aus der freien Natur am 7.11.2017 abgelehnt. Gegen diese Ablehnung, die formal und inhaltlich korrekt war und geltendem Recht entspricht, hat die Forscherin Klage eingereicht. Eine Klagebegründung lag offenbar auch im März 2018 noch nicht vor.

Ende November 2017 hat die Forscherin Kontakt zur Umweltbehörde aufgenommen und Adressen benannt bekommen, wo sie legal Zuchtnachtigallen erwerben kann.(3) Allerdings konnte sie nur Nachzuchten von weiblichen Nachtigallen finden. Am 11. März 2018 hat die Forscherin die Entnahme von 3 männlichen Nachtigallen, die ihr scheinbar zur Weiterzucht fehlen, in einem neuen Antrag an die Umweltverwaltung beantragt.(3) Die Berliner Umweltverwaltung ist bei der Antragsbearbeitung an die Amtsermittlungspflicht und EU-Recht gebunden. Der Antrag liegt nun zur Prüfung vor. Sollten im Genehmigungsverfahren Fehler gemacht werden, sind die Naturschutzverbände gegen den Bescheid klageberechtigt.

Die bisherigen Tierversuche der Daniela Vallentin - Das Leid der Tiere

Welches Leid die Nachtigallen erwartet, lassen die Publikationen der Forscherin Vallentin erahnen. An der Abteilung für Tierphysiologie, Institut für Zoologie der Universität Tübingen hat sie Hirnversuche an Rhesusaffen vorgenommen, die seit Jahren in der Kritik von Öffentlichkeit und Behörden stehen.(4) Die Tiere werden durch Durst gezwungen, stundenlang mit angeschraubtem Kopf in einem Primatenstuhl sitzend an einem Bildschirm Aufgaben zu erfüllen, während Elektroden in ihrem Kopf Hirnströme messen. In New York hat Vallentin ähnliche Experimente an Zebrafinken zu verantworten. Den Vögeln wird ein Loch in den Kopf gebohrt, um Elektroden mit einem auf dem Kopf montierten Motor in das Hirngewebe einzulassen. Eine Stahlplatte wird mit Zahnzement auf den Schädel befestigt, an der der Kopf des Tieres fixiert wird. Dann wird vor dem männlichen Fink ein Weibchen hinter einer Glasscheibe präsentiert, um ihn zum Singen zu animieren. In anderen Versuchen werden Zebrafinken durch beidseitiges Ausbohren der Hörschnecke ertaubt oder durch Zerschneiden des Stimmnervs stumm gemacht. In einigen Artikeln ist auch eine Tötung der Vögel erwähnt.

In den Medien behauptet die Forscherin, die Eingriffe seien schmerzfrei und würden die Tiere nicht beeinträchtigen.(5) Im Gehirn gibt es zwar tatsächlich keine Schmerzrezeptoren, aber allein das Handling von Wildvögeln - wobei auch gezüchtete Nachtigallen Wildtiere sind - das Bohren des Lochs, das Einlassen der Elektroden mit einem Motor, verursachen immensen Stress bei den Tieren.

Der Forscherin geht es um reine wissenschaftliche Neugier auf Kosten von fühlenden Lebewesen geht. In ihrer bisherigen Karriere geht es nicht einmal vorgeblich um irgendwelche anwendbaren Erkenntnisse. Für die in Berlin beantragten Tierversuche wurde eine Anwendung in der Humanmedizin erdacht. Die Hoffnung auf Erkenntnisse für autistische Kinder ist nur vorgeschoben, um die absurden und qualvollen Versuche in der Öffentlichkeit hoffähig zu machen.

Einige Beispiele im Einzelnen

Dokument 1: Nervenaktivitäten im Hirn während ein Affe Mengen schätzt (6)

Bei zwei Rhesusaffen wird unter Narkose ein Haltebolzen auf dem Schädelknochen verankert. Außerdem wird ein Loch in den Schädel gebohrt. Darüber wird eine verschließbare Kammer befestigt, durch die später Elektroden in das Hirngewebe eingelassen werden. In die Bindehaut der Augen werden Metallspulen eingesetzt, mit denen die Augenbewegungen verfolgt werden können.

Die Affen müssen in einem Primatenstuhl sitzend Aufgaben am Bildschirm erledigen. Der Kopf der Tiere ist dabei an dem Haltebolzen fixiert, so dass keine Kopfbewegung mehr möglich ist. Der Affe muss seine Augen auf einen Punkt auf dem Bildschirm richten und einen Hebel drücken. Es erscheint eine Anzahl schwarzer Punkte, die sich der Affe merken muss. Die Punkte verschwinden und ein eine andere Anzahl Punkte erscheint. Sind es mehr Punkte als zuvor, muss der Affe den Hebel loslassen, sind es weniger, muss er den Hebel gedrückt halten. Gleichzeitig werden Elektroden durch das Bohrloch in das Hirngewebe eingelassen, um Hirnströme an verschiedenen Stellen des Gehirns zu messen.

In dieser Arbeit wird nicht erwähnt, wie die Affen dazu gebracht werden, die Aufgaben zu erfüllen. Üblicherweise wird dazu Durst eingesetzt. Der Affe erhält außerhalb der Experimente im Affenstuhl nichts zu trinken. Macht er eine Aufgabe richtig, bekommt er ein paar Tropfen Flüssigkeit mit einem Schlauch in den Mund geträufelt. Eine Tötung der Affen wird nicht erwähnt. Üblicherweise werden die Primaten für mehrere Studien, oft über Jahre, verwendet.

Die Arbeit wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die VolkswagenStiftung unterstützt.

Dokument 2: Messung von Nervenaktivitäten im Hirn von Affen, die Proportionen abschätzen (7)

Es werden zwei Rhesusaffen verwendet, die zuvor operiert worden sind. Die Details werden nicht beschrieben. Üblicherweise wird bei den Affen unter Narkose über einem Bohrloch im Schädelknochen eine Aufzeichnungskammer für Elektroden mit Zahnzement und Schrauben fixiert. Außerdem wird normalerweise ein Metallbolzen auf dem Schädel angebracht, mit dem später der Kopf des Tieres bewegungslos angeschraubt werden kann. Für die Experimente sitzen die Affen in einem Primatenstuhl. Sie müssen auf einen Bildschirm schauen, auf dem Bilder mit zwei unterschiedlich langen Linien erscheinen. Gleichzeitig halten sie einen Hebel gedrückt. Erscheinen auf dem nächsten Bild Linien in den gleichen Proportionen, muss der Affe den Hebel loslassen, ansonsten weiter drücken. Macht das Tier eine Aufgabe richtig, erhält es zur "Belohnung" etwas Flüssigkeit. Üblicherweise erhalten die Affen außerhalb der Experimente nichts zu trinken und müssen sich ihre Flüssigkeitsration "erarbeiten". Während der Affe die Aufgaben löst, werden über 8 in das Gehirn eingeführte Elektroden Hirnströme gemessen.

Die gleichen Versuche werden auch mit 18 Menschen durchgeführt. Affen und Menschen zeigen die gleichen Fähigkeiten, Proportionen unterscheiden zu können.

Dokument 3: Untersuchung von Nervenverschaltungen bei singenden Zebrafinken (8)

Es werden männliche Zebrafinken von einem externen Züchter verwendet. Die Anzahl wird nicht genannt. Unter Narkose wird den Tieren ein Loch über einer bestimmten Hirnregion gebohrt, die bei Singvögeln für das Singen zuständig ist. Die harte Hirnhaut wird entfernt. Auf das Hirngewebe, das nun zum Vorschein kommt, wird ein Silikongel gegeben, damit es nicht austrocknet. Um das Loch wird ein Kunststoffwall geklebt. Außerdem wird ein kleiner Motor auf dem Schädel des Vogels mit Zahnzement befestigt. Die Tiere erwachen aus der Narkose. Bei dem wachen Fink wird der Kopf in Schaumstoff gepackt, damit das Tier ihn kurzzeitig nicht bewegen kann. Pipetten mit Elektroden werden an dem Motor angebracht und in das Hirngewebe eingelassen. Der Vogel kann sich danach wieder bewegen. Das Tier wird auf eine Stange gesetzt und hinter einer Glasscheibe wird ein weiblicher Fink präsentiert, um ihn zum Singen zu animieren. Während der Fink singt, werden die Elektroden weiter ins Gehirn getrieben, um Nervenströme zu messen.

Bei anderen Zebrafinken wird unter Narkose eine Markierungssubstanz ins Gehirn injiziert, die entlang von Nervenfasern wandert und diese markiert. Nach 2-7 Tagen werden jeweils einige Finken getötet, um die markierten Nervenfasern zu untersuchen.

Dokument 4: Untersuchungen zur Gesangsproduktion beim Zebrafinken (9)

Es werden Zebrafinken von einem externen Züchter verwendet. Die Anzahl wird nicht genannt. Unter Narkose wird den Tieren ein Loch über einer bestimmten Hirnregion gebohrt, die bei Singvögeln für das Singen zuständig ist. Die harte Hirnhaut wird entfernt. Auf das Hirngewebe, das nun zum Vorschein kommt, wird ein Silikongel gegeben, damit es nicht austrocknet. Um das Loch wird ein Kunststoffwall geklebt. Außerdem wird ein kleiner Motor auf dem Schädel des Vogels mit Zahnzement befestigt. Die Tiere erwachen aus der Narkose. Bei dem wachen Fink wird der Kopf in Schaumstoff gepackt, damit das Tier ihn kurzzeitig nicht bewegen kann. Pipetten mit Elektroden werden an dem Motor angebracht und in das Hirngewebe eingelassen. Der Vogel kann sich danach wieder bewegen. Das Tier wird auf eine Stange gesetzt und hinter einer Glasscheibe wird ein weiblicher Fink präsentiert, um ihn zum Singen zu animieren. Während der Fink singt, werden die Elektroden weiter ins Gehirn getrieben, um Nervenströme zu messen.

Andere Zebrafinken werden erlaubt, indem unter Narkose ein Loch hinter jedem Ohr gebohrt wird, durch das die Cochlea (Gehörschnecke) mit einem gebogenen Draht herausgezogen wird. Weitere Zebrafinken werden stumm gemacht, indem ihnen unter Narkose der Stimmnerv durchtrennt wird. Dazu wird ein Hautschnitt über der Luftröhre gemacht. Der Nerv wird freigelegt und es wird ein 3-5 mm langes Stück herausgeschnitten. Eine andere Methode, um Finken stumm zu machen, wird bei anderen Finken angewandt: Im Bereich des Brustmuskels wird ein Loch in die Haut und in den Luftsack geschnitten, durch das ein Silikonschlauch gelegt wird. Der Schlauch wird am Brustmuskel angenäht, damit er nicht herausrutschen kann. Bei allen diesen Tieren werden die oben beschriebenen Versuche wiederholt.

Dokument 5: Nervenströmen bei singenden Zebrafinken (10)

Es werden männliche und weibliche Zebrafinken von einem externen Züchter verwendet. Die Anzahl wird nicht genannt. Unter Narkose wird den Tieren mit Zahnzement eine Stahlplatte auf dem Kopf montiert. Zunächst wird der Vogel „trainiert“. Dazu wird das Tier auf eine Stange gesetzt, der Kopf wird an der Metalllatte fixiert, so dass er ihn nicht mehr bewegen kann. Vor dem Fink sitzt durch eine Scheibe aus polarisiertem Glas getrennt, ein Weibchen. Durch die Eigenschaft der Platte kann das Weibchen für das Männchen sichtbar oder unsichtbar gemacht werden. Die Platte wird für 20 Sekunden durchsichtig gemacht. Singt der männliche Fink innerhalb dieser 20 Sekunden, kommt aus einem Schlauch vor ihm ein Tropfen Wasser (20 μl) als „Belohnung“. Es wird nicht erwähnt, ob das Tier vorher dursten gelassen wurde.

Hat der Vogel gelernt, mit fixiertem Kopf zu singen, wird ein Loch in den Schädel gebohrt, durch das mit einer Pipette 3-6 Injektionen bestimmter Substanzen in das Hirngewebe vorgenommen werden. Das Loch wird mit einer kleinen Glasplatte abgedeckt und der Vogel muss erneut singen, wenn er ein Weibchen sieht.

Bei anderen Zebrafinken wird ein kleiner Motor auf den Kopf montiert, mit dem Elektroden durch das Bohrloch in das Hirngewebe eingelassen werden, um Nervenströme zu messen. Auch hier wird der Fink durch das Zeigen eines Weibchens zum Singen animiert. Das weitere Schicksal der Vögel wird nicht erwähnt.

Verwendung der Forschungsgelder

Medienberichten zufolge hat Vallentin 1,5 Millionen Euro vom Europäischen Förderrat (ERC) eingeworben.(5) Die bewilligten EU-Gelder sind personengebunden und zeitlich begrenzt. Das heißt, bei einer weiteren Verzögerung verfällt die Förderung und das Nachtigallen-Projekt wird hinfällig. 

Nach Ansicht der Ärzte gegen Tierversuche e.V. ist es erschreckend, dass die EU eine solch große Summe für dieses einzelne Forschungsprojekt zur Verfügung stellt, das der reinen Grundlagenforschung zuzuordnen ist und bei dem ein medizinischer Nutzen nur vorgeschoben ist. Es handelt sich um eine skandalöse Verschwendung von Steuergeldern. 

Allein in Deutschland werden Tierversuche mit Milliarden subventioniert, während die 3R-Forschung (die nicht einmal nur tierversuchsfreie Forschung beinhaltet, sondern auch Maßnahmen, die die Haltung verbessern und Leid von Tieren vermindern sollen) mit jährlich gerade einmal 6 Millionen Euro regelmäßiger Förderung staatlicher Gelder auskommen muss – ein Verhältnis von 99,x% zu 0,y%.(11) Dabei ist Deutschland innerhalb der EU nach Großbritannien das Land mit dem zweitgrößten Fördertopf.(12) In den Ländern der EU liegen die Ausgaben für 3R-Forschung zwischen 0% und 0,036% des Forschungsbudgets des jeweiligen Landes.(12) EU-weit lag das Budget für 3R-Forschung 2013 bei insgesamt 18,7 Millionen Euro.(12) Vor diesem Hintergrund ist eine Summe von 1,5 Millionen Euro für ein einzelnes tierexperimentelles Forschungsprojekt als extrem hoch anzusehen und keinesfalls zu rechtfertigen. Das Geld hätten sinnvollerweise in moderner tierversuchsfreie Forschung und/oder klinische Forschung mit autistischen Kindern investiert werden müssen.

Sind diese Versuche nötig?

Die Forscherin Vallentin begründet ihr Versuchsvorhaben mit der Hoffnung, durch die Untersuchung der gesanglichen Kommunikation Erkenntnisse zum besseren Verständnis von Autismus bei Kindern zu erlangen.(5) Dabei sind diese Versuche an den Nachtigallen ganz klar nicht nötig, im Gegenteil. Das Tierversuchsvorhaben ist im Bereich der Grundlagenforschung angesiedelt und dient somit keinem direkten medizinischen Zweck, sondern vielmehr der Befriedigung wissenschaftlicher Neugier. Es sollen die neurobiologischen Grundlagen erforscht werden, durch die eine Unterhaltung zustande kommt. Das sogenannte „vocal turn talking“ wird durch neurologische Mechanismen gesteuert. Diese sollen in den Versuchen der Forscherin anhand eines „Tiermodells“ genauer untersucht werden, und zwar anhand von Gesängen männlicher Nachtigallen, was als Duettieren bezeichnet wird. Vogelgesänge folgen einem festgesetzten Bauplan. Eine Tonfolge wird abwechselnd oder gleichzeitig von zwei Tieren erzeugt, sie duettieren. Allerdings ist es im speziellen Fall der Nachtigall noch nicht erforscht, ob es sich tatsächlich um ein Duett handelt oder um ein Duell, welches der Revierverteidigung zwischen zwei Männchen dient.(2) 

Ungeachtet der Tatsache, dass „Tiermodelle“ generell nicht auf den Menschen übertragbar sind, handelt es sich hier vor dem Hintergrund, dass die Forscherin neue Therapiemethoden für autistische Kinder entwickeln möchte, um ein besonders schlechtes Modell. Gehirne von Menschen und Vögeln weisen gravierende Unterschiede auf. Beispielsweise besitzen Vogelgehirne keinen Cortex (Großhirnrinde).(13) Diese Region ist bei Vögeln in Zellhaufen organisiert. Singvögel besitzen dagegen Hirnregionen, die es beim Menschen nicht gibt, insbesondere die HVC genannte Hirnregion, die für das Gesangslernen und den Gesang dieser Tiere zuständig ist. 

Diese und weitere Gründe sprechen dafür, dass Autismus nur durch humanbasierte Forschungsmethoden erforscht werden kann. Insbesondere die menschliche Mimik und Gestik spielen beim Autismus eine zentrale Rolle. Hier kann eine Forschung an Nachtigallen zu keinen Erkenntnissen führen. Autisten haben Schwierigkeiten, Gefühle wie Freude, Trauer oder Angst zu zeigen bzw. diese Gefühle in Gesichtern anderer Menschen zu lesen. Die Gefühle anderer Menschen einzuordnen, ist somit ein zentrales Problem von Autisten.(14) Versuche an Nachtigallen können all dies nicht leisten.

Sinnvolle Autismus-Forschung ohne Tierversuche

Dass eine Forschung deshalb am Menschen stattfinden muss, haben auch zahlreiche Forscher erkannt, beispielsweise am Max Planck Institut für Psycholinguistik in Nijmegen, Niederlande.(15) Dort wird unter anderem daran geforscht, wie sich Sprache und Denken gegenseitig beeinflussen und welche Rolle dabei das jeweilige kulturelle Umfeld einnimmt. Auch die Untersuchung der biologischen Grundlagen von Sprache ist ein Fokus der Forschungsarbeit. Ganz konkret wäre die Magnetresonanztomographie ein Beispiel für eine erfolgversprechende humanbasierte Forschungsmethode auf dem Gebiet der Autismus-Forschung. Es gibt zahlreiche Forschungsprojekte die sich dieser Möglichkeiten bedienen. An der Universität Utah in Salt Lake City nutzen Forscher die funktionelle Kernspintomographie (fMRI), um Unterschiede in der Kommunikation zwischen den beiden Hirnhemisphären bei Männern mit und ohne Autismus herauszufinden.(16) Die Forscher verglichen die Gehirnlandkarten beider Gruppen und versuchten Bereiche in den Hemisphären der Gehirne zu finden, durch welche die autistischen Männer nicht normal kommunizieren können und wodurch ihre motorische Fähigkeiten, Aufmerksamkeit, die Gesichtserkennung und ihre soziale Interaktion beeinflusst werden.

In einem anderen Forschungsprojekt hat ein Forscherteam der Universität Toronto Parallelen bei der Beeinträchtigung des Gehirns bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Zwangsstörungen untersucht.(17) Dies geschah durch MRT-Aufnahmen der weißen Substanz. Die weiße Substanz setzt sich aus Bündeln von Nervenfasern zusammen, die die Zellkörper im Gehirn untereinander verbinden und so die Kommunikation zwischen verschiedenen Regionen im Gehirn ermöglichen.

Forscher der Arizona State University untersuchten die Darmflora autistischer Kinder und stellten fest, dass bei den Kindern mit Autismus im Vergleich zu den gesunden Kindern eine geringere Vielfalt an Darm-Mikroben vorlag. Es fehlten drei Spezies an Darmbakterien, die für die Verarbeitung der Kohlenhydrate in der Nahrung und deren Verdauung nötig sind.(18) Weitere tierversuchsfreie Studien zeigen ebenfalls einen Zusammenhang von Darmflora und Hirnentwicklung(19) bzw. dass signifikante Veränderungen in der Darmflora der oberen und unteren Darmabschnitte bei Kindern mit Autismus vorliegen, insbesondere bei Kindern mit dem sogenannten regressivem Autismus.(20)

Weitere Beispiele für eine tierversuchsfreie humanbasierte Forschung sind der Einsatz von Minigehirnen, Patientenstudien und Computersimulation. So haben US-Forscher der Yale School of Medicine aus New Haven Autismus-Patienten Hautzellen entnommen, die sie über induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) im Labor in kleine Gehirn-Organoide aus Zellen des Telenzephalons (Endhirn) umgewandelt haben.(21) In diesen embryonalen Vorläuferzellen des Großhirns werden die Störungen vermutet, die Autismus hervorrufen. Viele Autisten haben ein vergrößertes Gehirn. Die Vorläuferzellen der Großhirnneurone teilen sich schneller als bei gesunden Menschen, was eine Erklärung hierfür sein könnte. Forschungsprojekte wie diese machen vor, wie es geht. Auch und gerade weil Autismus in den Industrienationen die Entwicklungsstörung mit der höchsten Zuwachsrate ist, muss endlich komplett auf eine humanbasierte Forschung umgestiegen werden. 

29.03.2018
Dr. med vet. Corina Gericke, Julia Schulz (Tierärztin), Marc Schlösser

Quellen

(1) Antwort des Berliner Senats vom 14.02.2018 auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Michael Efler (LINKE) >> (Link abgerufen am 28.03.2018)

(2) Stellungnahme der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz e.V. und anderer Naturschutzverbände zum Thema „Ausnahme für Entnahme von Nachtigallen aus der Natur, FU Berlin (Institut für Biologie)“, 27.10.2017

(3) Berlin.de: Stellungnahme Staatssekretär Stefan Tidow im UVK-Ausschuss am 15.03.2018 >> (Link abgerufen am 28.03.2018)

(4) Tübingen: MPI-Mitarbeiter sollen Strafe zahlen wegen Misshandlung von Affen. Pressemitteilung der Ärzte gegen Tierversuche, 20.2.2018 >> (Link abgerufen am 28.03.2018)

(5) Senat verbietet Vögeln das Vögeln. Tagesspiegel, 12.03.2018 >> (Link abgerufen am 28.03.2018)

(6) Daniela Vallentin, Sylvia Bongard, Andreas Nieder: Numerical rule coding in the prefrontal, premotor, and posterior parietal cortices of macaques. The Journal of Neuroscience 2012: 32 (19); 6621-6630 (Dokumenten-ID: 4511 in www.datenbank-tierversuche.de)

(7) Daniela Vallentin, Andreas Nieder: Behavioral and prefrontal representation of spatial proportions in the monkey. Current Biology 2008: 18, 1420-1425 (Dokumenten-ID: 3828 www.datenbank-tierversuche.de)

(8) Georg Kosche, Daniela Vallentin, Michael A. Long: Interplay of Inhibition and Excitation Shapes a Premotor Neural Sequence. The Journal of Neuroscience 2015: 35(3); 1217–1227

(9) Daniela Vallentin, Michael A. Long: Motor Origin of Precise Synaptic Inputs onto Forebrain Neurons Driving a Skilled Behavior. The Journal of Neuroscience 2015: 35(1); 299 –307

(10) Michel A. Picardo, Josh Merel, Kalman A. Katlowitz, Daniela Vallentin et al: Population-Level Representation of a Temporal Sequence Underlying Song Production in the Zebra Finch. Neuron 2016: 90; 866–876

(11) Ärzte gegen Tierversuche: Was kosten Tierversuche?, 21.12.2017 >> (Link abgerufen am 28.03.2018)

(12) Taylor K: EU member state government contribution to alternative methods. ALTEX 2014: 31; 215-218

(13) König, Korbel, Liebich (Hrsg.): Anatomie der Vögel, Schattauer Verlag, S. 210

(14) autismus Deutschland e.V: Was ist Autismus? >> (Link abgerufen am 28.03.2018)

(15) Max-Planck-Institut für Psycholinguistik >>  (Link abgerufen am 28.03.2018)

(16) Verbindungen zwischen Gehirn-Hemisphären unterschiedlich bei männlichen Autisten, Psychologie News, 12.12.2016 >> (Link abgerufen am 28.03.2018)

(17) Ähnlichkeiten der Gehirn-Anomalien bei Kindern mit Autismus, ADHS und Zwangsstörungen gefunden, Psychologie News, 31.07.2016 >> (Link abgerufen am 28.03.2018)

(18) Arte Dokumentation „Hilfe Bei Autismus - Die Rolle der Bakterien“, 2011 >> (YouTube-Link abgerufen am 28.03.2018)

(19) Finegold, S.M. et al: Gastrointestinal microflora studies in late-onset autism. Clinical Infectious Diseases 2002: 35 (Suppl. 1); S6-S16

(20) Sandler, R.H. et al.: Short-Term Benefit From Oral Vancomycin Treatment of Regressive-Onset Autism. Journal of Child Neurology 2000: 15(7); 429-435

(21) „Mini-Gehirne“ aus Hautzellen erklären Autismus, aerzteblatt.de, 19.07.2015 >> (Link abgerufen am 28.03.2018)