Xenotransplantation: Wie immenses Tierleid als „Meilenstein“ verkauft wird
Stellungnahme zur Xenotransplantations-Studie von Längin M et al., Nature 2018
Die Tierversuchs-Branche ist bekannt dafür, ihre angeblichen „Erfolge“ bei Tierversuchen als große Durchbrüche bei der Bekämpfung menschlicher Krankheiten medienwirksam zu vermarkten. AIDS, Krebs, Parkinson, Schlaganfall und viele weitere Krankheiten wurden im Tierversuch schon unzählige Male „geheilt“, doch dann hört man von den angeblichen Wundermitteln nie wieder etwas, weil sich herausstellt, dass sie beim Menschen nicht wirken (1).
Auch die Xenotransplantationsforschung verspricht seit Jahren den serienmäßigen Austausch defekter Organe. In diese Kaskade reiht sich nun eine weitere Studie der LMU München unter der Federführung von Bruno Reichart ein, die ebensolche Versprechen macht (2). In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung prognostiziert der Herzchirurg, wenn alles gut laufe, könne man mit diesem Ansatz vielleicht schon in 3 Jahren in die Klinik gehen (3). Vielleicht – vielleicht aber auch nicht. Die Entwicklungen in der Xenotransplantation aus den letzten Jahrzehnten lassen eher Gegenteiliges vermuten.
Seit 25 Jahren arbeiten die Münchner Forscher nun im Bereich der Transplantation von Schweineherzen in Paviane. In dieser Zeit wurden immer wieder Hoffnungen geschürt, dass angeblich bahnbrechende Ergebnisse aus den Tierstudien bald schon Patienten retten könnten. Nichts dergleichen ist passiert. Als 1992 Astrid, das erste für die Organübertragung geschaffene genmanipulierte Schwein, das Licht der Welt erblickte, prophezeiten ihre Schöpfer erste klinische Versuche am Menschen innerhalb von drei Jahren (4). Der Schweizer Pharmariese Novartis prognostizierte im Jahr 1999, dass ab 2010 bis zu 300.000 Menschen jährlich Herz, Leber, Niere oder Bauchspeicheldrüse vom Tier erhalten könnten (5). Die Firma PPL Therapeutics kündigte nach ihrer Erzeugung von geklonten, genmanipulierten Schweinefünflingen im Jahr 2002 klinische Versuche, d.h. Menschenversuche, in vier bis fünf Jahren an (4). Im Jahr 2006 war bei einer Tagung am Berliner Robert-Koch-Institut von vier bis fünf Jahren bis zum Einsatz am Menschen die Rede (6). Selbst der Pharmakonzern Novartis, der lange die Xenotransplantation propagierte und an dem Ansatz festhielt, gab Anfang dieses Jahres zu, aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten diesen Forschungsansatz ganz aufzugeben (7). Allein das sollte uns mehr als nachdenklich stimmen.
Die tatsächliche Datenlage
Der aktuelle „bahnbrechende Erfolg“, der in der aktuell publizierten Arbeit von Reichart und Kollegen angepriesen wird, ist das 6-monatige Überleben eines Pavians, in den das Herz eines genmanipulierten Ferkels transplantiert wurde (2). Diese Aussage, die in den Medien als Erfolg gefeiert wird, ist zu relativieren. In dieser Studie wurden insgesamt 14 Paviane eingesetzt, denen in 3 verschiedenen Ansätzen ein Schweineherz eingepflanzt wurde. Ein 6-monatiges Überleben konnte allerdings nur bei 2 von 14 Tieren erzielt werden, und das auch nur unter dauerhafter Verabreichung eines umfangreichen Medikamenten-Cocktails.
In der ersten Testgruppe starben 3 Tiere innerhalb weniger Tage nach der Operation an der bislang ungeklärten perioperativen kardialen Xenotransplantatdysfunktion (PCXD), bei der es zu einem schweren Pumpversagen des Herzens mit Atemnot, Blutdruckabfall und Todesangst kommt. Ein Pavian starb nach 30 Tagen an einer massiven Herzvergrößerung, in deren Folge es zu - sicher äußerst schmerzhaften - Herzinfarkten und zu einer Leberstauung mit Leberversagen kam. Die 4 Paviane der zweiten Testgruppe verstarben nach 4 bis 40 Tagen aufgrund einer dramatischen Zunahme des Herzgewichtes auf bis das dreifache mit Herz- und Leberversagen bei 2 Tieren. Eine schwere Gerinnungsstörung bei einem Affen mit vielfachen Thrombenbildungen im Herzmuskel und einer schweren Leberschädigung führt 40 Tage postoperativ zum Tod. Eins der Tiere erleidet wenige Tage nach der Operation schwere neurologische Ausfallerscheinungen, verursacht durch einen nicht näher beschriebenen „technischen Defekt“ und muss daraufhin getötet werden.
Bei den Pavianen der dritten Testgruppe wird die Gabe von Cortison bald nach der Operation ausgeschlichen und ihr Blutdruck wird von den für Paviane normalen Werten (120 mmHg systolisch) auf den Normwert von Schweinen (80 mmHg) medikamentös abgesenkt. Um die Problematik des übermäßigen Wachstums der Schweineherzen zu umgehen und damit ein Herzversagen und eine Leberstauung zu verhindern, bekommen diese Tiere ein zusätzliches Medikament (Temsirolimus). Dabei handelt es sich um einen Wirkstoff, der beim Menschen zur Wachstumshemmung von bestimmten Krebszellen zugelassen ist und bei dem mit schwersten Nebenwirkungen wie bakteriellen und viralen Infektionen, Atemnot, einer tödlichen Lungenentzündung, Thrombosen, Lungenembolien, Blutungen u.a. zu rechnen ist. Die Gabe dieses Medikaments, das den Pavianen täglich intravenös verabreicht wird, ist ausschlaggebend für das mehrmonatige Überleben der Tiere nach der Transplantation. Eine solche Behandlung ist für den Menschen aber wohl kaum praktikabel. Zudem wird in der Fachinformation von Temsirolimus vor der gleichzeitigen Gabe von ACE-Hemmern (Blutdrucksenkern) wegen der Gefahr von angioneurotischen Ödemen gewarnt wird. Jedoch bekommen die Affen genau einen solchen Blutdrucksenker (Enalapril). Aber auch für dieses Problem finden die Forscher beruhigende und hoffnungsvolle Worte: Beim Menschen wäre die Gabe von Temsirolimus nicht nötig, da ein übermäßiges Wachstum des xenotransplantierten Herzens zu keiner Stauung anderer Organe (z.B. der Leber) führen würde, wie es bei den Pavianen der Fall war. Das ist bei einer Herzmuskelvergrößerung von bis zu 300 % bei nicht wachstumsgehemmten Tieren und einer dadurch bedingten Verringerung des Herzkammervolumens eine gewagte Behauptung!
In dieser dritten Testgruppe mit 5 Affen erleidet ein Pavian wenige Wochen nach der Operation schwere Atemnot wegen eines Rippenfellergusses, verursacht durch den Verschluss eines großen Lymphgefäßes. In der oberen Hohlvene hat sich zudem eine Thrombose gebildet. Zwei Tiere werden nach 90 Tagen getötet. Bei zwei Affen wird Temsirolimus nach etwa 5 Monaten abgesetzt, woraufhin das Herz massiv anschwillt. Kurze Zeit später werden die beiden Tiere getötet.
Pavian im Labor gleicht nicht einem Menschen im Alltag
Die Tatsache, dass das exorbitante Wachstum des transplantierten Schweineherzens mit der Gabe von Temsirolimus unterdrückt werden kann, wird von den Forschern als eines der „bahnbrechenden Schlüsselerkenntnisse“ dargestellt, das den „Erfolg“ dieser Arbeit ausmacht (8). Jedoch ist das ein weiterer Beweis für die Problematik der Übertragbarkeit zwischen den Arten und wohl eher eine Bestätigung, dass die Xenotransplantation der falsche Ansatz für eine humanrelevante Anwendung ist. Es ist überhaupt nicht abzusehen, welche weiteren Probleme bei der Transplantation eines artfremden Herzens in den Menschen noch auftreten könnten. Denn ein Schweineherz gehört nun mal nicht in einen Pavian und von einem Pavian können nicht einfach Rückschlüsse auf einen Menschen gezogen werden. Die gegenüber dem Schwein sehr viel höheren Cholesterinwerte des Menschen können z.B. zur Verstopfung der Blutgefäße führen. Bis heute weiß niemand, ob tierische Organe überhaupt von menschlichen Hormonen reguliert werden können (9). Zudem ist unbekannt, inwieweit sich die sehr viel kürzere Lebensspanne des Schweins auf das transplantierte Organ auswirkt. Auch ist unbekannt, ob bei der Erzeugung der transgenen Tiere gesundheitliche Schäden auftreten, die nicht direkt ersichtlich sind (10).
In den einseitigen und idealisierten Pressemeldungen rühmen sich die Forscher damit, dass mit dem vorliegenden Ansatz die dauerhafte Gabe von Immunsuppressiva entfallen würde. Es wird allerdings nicht erwähnt, dass auch in der vorliegenden Studie die Paviane einem wahren Medikamenten-Cocktail ausgesetzt wurden, der für eine Anwendung im Menschen wohl kaum realisierbar wäre. Die Tiere erhalten neben Temsirolimus unter anderem Schmerzmittel, Cortison und eine Vielzahl weiterer Medikamente und Antikörper zur Blutdrucksenkung oder Stützung des Kreislaufs, zur Unterdrückung einer Abstoßungsreaktion, zur Verhinderung von Thrombosen, zur Unterdrückung von Entzündungen, bakteriellen und viralen Infektionen und zur Bildung von roten Blutkörperchen. Alle Medikamente weisen ein breites Spektrum von schweren Nebenwirkungen auf.
In der Studie wird von auftretenden Nebenwirkungen nichts erwähnt – im Gegenteil: die Tiere seien in einem „guten bis sehr guten“ Gesundheitszustand gewesen, so die Autoren. Zu bedenken ist, dass der Gesundheitszustand der Paviane, wie auch die Überlebensdauer, nicht zuletzt durch die Bedingungen im Labor beeinflusst werden. Starke Medikation, Isolation von Artgenossen durch Einzelhaltung unter sogenannten „spezifisch-pathogenfreien“ Bedingungen mit geringer Keimbelastung, standardisiertes Futter, fehlende körperliche Betätigung, umfangreiche Untersuchungen (körperliche Untersuchung, Ultraschall, Blutentnahmen, invasives Monitoring etc.) – das sind die Lebensbedingungen der Paviane nach der Transplantation. Sie sind praktisch das Gegenteil der Lebensbedingungen eines Menschen im Alltag.
Es stellt sich also die Frage: Wie würde sich der normale menschliche Lebensstil eines Patienten auf das transplantierte Schweineherz auswirken? Wie würde das Herz auf den deutlich größeren, aufrecht gehenden Organismus reagieren, der versorgt werden muss? Wie würde es mit der deutlich höheren physischen Belastung des Menschen zurechtkommen, geschweige denn mit regelmäßiger sportlicher Betätigung? Was würde passieren, wenn der Patient der alltäglichen Keimbelastung ausgesetzt ist oder er gar an einem Infekt erkrankt? All das sind Faktoren, die bei Tierversuchen völlig ausgeklammert werden, bei denen die Tiere unter artifiziellen und standardisierten Laborbedingungen gehalten werden. So gesehen lebt ein Tier im Labor weder unter den Bedingungen, die seiner Art entsprechen würden, noch unter solchen, die den menschlichen Lebensstil widerspiegeln. Es ist also ein schlechtes Modell für seine eigene Tierart und ein noch schlechteres Modell für den Menschen.
Ethische Betrachtung
Neben der wissenschaftlichen Kritik an der Xenotransplantation muss auch der ethische Aspekt beleuchtet werden. In der Xenotransplantationsforschung werden nicht-menschliche Primaten schweren Leiden ausgesetzt, die die EU mit dem Schweregrad „schwer“ einstuft. Die Affen werden über den ganzen Zeitraum nach der Operation in Einzelhaltung gehalten, was für die sozialen Tiere allein schon eine große Qual darstellt. In der vorliegenden Studie starben mindestens 10 von 14 Tieren (also 70%) qualvoll an den Folgen der Transplantation. Es stellt sich die Frage, ob unzähligen Tieren immenses Leid zugefügt werden darf und Menschen einem unkalkulierbaren Risiko ausgesetzt werden dürfen. Wäre es nicht besser, die Anzahl der potenziellen Transplantatempfänger durch geeignete Präventionsmaßnahmen zu senken, anstatt kranke menschliche Organe durch unnatürlich in leidenden Tieren gezüchtete Ersatzteile auszutauschen? Xenotransplantationsforschung stellt eine grobe Missachtung des Eigenwertes der Tiere dar. Unabhängig von der wissenschaftlichen Fragwürdigkeit, sind weder die qualvollen Tierversuche an Primaten, noch die Instrumentalisierung von Lebewesen zu beliebig manipulierbaren Ersatzteillagern moralisch zu rechtfertigen.
Es gibt auch andere Wege
Das Festhalten an der Xenotransplantationsforschung ist in Anbetracht etlicher innovativer Ansätze, die der medizinischen Forschung heutzutage zur Verfügung stehen, nicht nachvollziehbar. Die immensen Summen, die seit 30 Jahren in die Förderung dieser Forschung investiert werden, ohne dass eine erfolgreiche Anwendung im Menschen absehbar ist, könnten besser investiert werden. Systeme, die mit patienteneigenen Zellen arbeiten, haben ein solches Potenzial. So wird in Österreich ein menschlicher Hautersatz, der im Labor basierend auf Zellen des jeweiligen Patienten kultiviert wurde, bereits am Menschen getestet (11). Eingesetzt wird diese Technologie beispielsweise bei Opfern von Brandverletzungen und in anderen Bereiche der Dermatologie. Auch funktionelle menschliche Mini-Herzen wurden bereits im Labor generiert und es wird daran gearbeitet, diese Organ-Vorläufer mit Blutgefäßen und Nervenzellen zu kultivieren (12). Ja, solche Technologien sind noch nicht ganz ausgereift und müssen weiter optimiert werden. Aber sie sind humanbasiert, zukunftsträchtig und haben ein riesiges Potenzial. Die Xenotransplantation hingegen ist ein archaischer Ansatz, der seit 3 Jahrzehnten Erfolg verspricht und nichts davon hält. Zudem birgt er ein unkalkulierbares Risiko für den Menschen.
Die Experimentatoren kündigen weitere Tierversuche an. Angesichts des immensen Tierleids und der Fragwürdigkeit dieser Art der Forschung muss die Xenotransplantationsforschung endlich sofort gestoppt werden!
13.12.2018
Dr. rer. nat. Tamara Zietek
Quellen
(1) Corina Gericke: Stellungnahme zu Xenotransplantation. Ärzte-gegen-Tierversuche.de, 27.2.2014
(2) Längin et al. Consistent success in life-supporting porcine cardiac xenotransplantation. Nature 2018. Doi: 10.1038/s41586-018-0765-z
(3) Pavian lebt mehr als halbes Jahr mit Schweineherz. Sueddeutsche.de, 06.12.2018
(4) Waiting for a Miracle. Editorial, New Scientist, 12.01.2002, S. 3
(5) Hoffnungen, Enttäuschungen und Kritik: Xenotransplantationen werfen viele Fragen auf. VetImpulse, 15.04.1999, S. 1-3
(6) Nicole Siegmund-Schultze: Ein Herz von der Dreikomponenten-Sau. Sueddeutsche.de, 12.06.2006
(7) Urs Gasche: Schweineherzen für Menschen: Novartis kleinlaut. Infosperber, 16.1.2018
(8) Durchbruch bei der Entwicklung der "Xenotransplantation". Med.uni-muenchen.de, 06.12.2018
(9) Mikhail Stein: Xenotransplantation um jeden Preis? Research.eu, Nr. 62, Febr. 2010, S. 12-13
(10) Andreas Bauer et al.: First experience with heterotopic thoracic pig-to-baboon cardiac xenotransplantation. Xenotransplantation 2010: 17, 243-249
(11) Drew L et al. Clinical devices and services: repair shops. Nature 2018; 545: 21-24
(12) Tamara Zietek: Tierversuchsfreie Forschung: Mini-Organe und Multi-Organ-Chips. Mitglieder-Infoheft Ärzte gegen Tierversuche 3/2018