Gemeinsame Erklärung zur Novellierung des Tierversuchsrechts
- Pressemitteilung
Tötung von Millionen von „Überschusstieren“ darf nicht legitimiert werden
In einer heute veröffentlichten gemeinsamen Erklärung protestieren vier Tierschutzorganisationen gegen den Plan der Bundesregierung, die Tötung von überzähligen Tieren im Versuchslabor via Verordnung zu legitimieren. Die Tötung von Millionen von Tieren verstößt nach Ansicht von Ärzte gegen Tierversuche, des Bundesverbandes Menschen für Tierrechte, der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT) und PETA gegen deutsches und europäisches Tierschutzrecht sowie gegen das Staatsziel Tierschutz.
Im Rahmen der aktuellen Reform des Tierschutzgesetzes fordern Forschende aus dem Tierversuchsbereich, die Tötung von sogenannten „Überschusstieren“ zu vereinfachen. Dabei handelt es sich um Tiere, die zu wissenschaftlichen Zwecken gezüchtet, jedoch nie in Versuchen eingesetzt werden. Offiziell soll damit Rechtssicherheit für Personen geschaffen werden, die Tierversuche durchführen.
Im Jahr 2022 wurden laut offizieller Statistik in Deutschland etwa 1,77 Millionen Tiere getötet, weil sie „überschüssig“ waren. Dies übertrifft die Zahl der Tiere, die tatsächlich in Tierversuchen eingesetzt wurden (1,73 Millionen) (1). Es ist davon auszugehen, dass diese Zahl noch weitaus höher liegt (2). Laut Wissenschaftsverbänden entstünden bei der Zucht regelmäßig Tiere, die aufgrund verschiedenster Kriterien im geplanten Tierversuch nicht eingesetzt werden könnten (falsches Geschlecht, zu alt, falscher Phänotyp, etc.).
Die Bundesregierung kam der Forderung der Wissenschaft nach und legte kürzlich eine Änderung in der Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV) vor, die den Begriff des „vernünftigen Grundes“ für die Tötung eines Tieres mit der sogenannten „Kaskadenregelung“ verknüpft. Danach liegt der „vernünftige Grund“ zur Tötung der Überschusstiere vor, wenn diese trotz sorgfältiger Zuchtplanung sowie Zweitnutzungsprüfung keiner alternativen Verwendung zugeführt werden können und die Kapazitäten zur artgerechten Haltung und Pflege der Tiere erschöpft seien. Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung der Tierschutzorganisationen jedoch nicht streng genug und schließen die Vermittlung (Rehoming) oder die dauerhafte Unterbringung überzähliger Versuchstiere im Sinne der EU-Tierversuchsrichtlinie aus.
Nach Auffassung der Tierschutzorganisationen widerspricht diese Regelung grundsätzlich dem Tierschutzgesetz und dem Staatsziel Tierschutz. Danach darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Rechtlich ist der Tod jedoch der größtmögliche Schaden, der einem Tier zugefügt werden kann. Dies zeigt sich auch in der aktuellen Rechtsprechung: Nach mehreren höchstrichterlichen Urteilen stellen rein wirtschaftliche Gründe oder Kapazitätsmangel keinen vernünftigen Grund für die Tötung eines Tieres dar (3).
„Tierexperimentatoren verstoßen seit Jahrzehnten gegen geltende Gesetze, indem sie ꞋüberzähligeꞋ Tiere einfach töten, und jetzt soll dieser Rechtsbruch legitimiert werden“, protestiert Dr. med. vet. Corina Gericke, Vizevorsitzende von Ärzte gegen Tierversuche. „Es darf nicht sein, dass die tierexperimentelle Forschung einen Freibrief zur rechtssicheren Tötung von Millionen von Tieren aus wirtschaftlichen Gründen erhält.“
Die Gemeinsame Erklärung der Tierschutzorganisationen enthält diverse Vorschläge, welche Punkte der Kriterienkatalog enthalten sollte. Beispielweise müssten vorrangig tierfreie Verfahren genutzt werden. Gentechnisch veränderte Zuchtlinien dürften nicht auf Vorrat gehalten werden. Die Institute tragen als Züchter oder Auftraggeber die Verantwortung für „überzählige“ Tiere und müssen nach dem Verursacherprinzip für die Kosten aufkommen.
Weitere Infos und Quellen
Gemeinsame Erklärung der Tierschutzverbände als PDF >>
- Bundesinstitut für Risikobewertung: Verwendung von Versuchstieren im Jahr 2022
- Zusammen mit den 712.000 Tieren, die getötet wurden, um Zellen und Gewebe für wissenschaftliche Zwecke zu entnehmen, starben im Jahr 2022 mindestens 4.207.231 Tiere im Zusammenhang mit Tierversuchen.
Siehe auch: Strittmatter S.: 4 Millionen Tiere als „Überschuss“ in Tierversuchslaboren getötet. Ärzte gegen Tierversuche, 02.08.2021 >> - BVerwG (3. Senat), Urteil vom 13.06.2019 – 3 C 29.16; OLG Frankfurt NStZ 1985, 130; OVG Lüneburg (11. Senat), Beschluss vom 14.01.2021 – 11 ME 301/20; AG Magdeburg Urt. v. 17.6.2010, 14 Ds 181 Js 17116/08; VGH München Beschl. v. 7.1.2013 (9 ZB 10.1458) und Beschl. v. 17.1.2013 (9 ZB 11.2455)